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Von Schwester Katrei bis zum »Frankfurter«
Meister Eckharts Wirkung im 14. und 15. Jahrhundert

Wissenschaftliche Tagung in Zusammenarbeit mit der Meister-Eckhart-Gesellschaft und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

13. – 15. März 2015

Die Geschichte der deutschen Philosophie, Theologie, Frömmigkeit und Sprache ist ohne die Wirkungsgeschichte Meister Eckharts nicht zu denken. Doch über die unmittelbare Wirkung der Werke Meister Eckharts herrschen die unterschiedlichsten Vorstellungen: Die päpstliche Bulle »In agro dominico « mit der Verurteilung von 28 Sätzen aus Eckharts Lehre habe zur Unterdrückung seiner Predigten beigetragen oder sie habe deren Verbreitung nicht beeinträchtigt; Eckhart sei massenhaft überliefert worden oder die Überlieferung seiner Einzelpredigten sei »an den Fingern einer Hand abzuzählen« (Kurt Ruh). Die Tagung will diesen Sachverhalt anhand der Rezeption Meister Eckharts im Spätmittelalter nachgehen.
Dazu sind Sie herzlich eingeladen.

Thomas Herkert, Katholische Akademie
Prof. Dr. Freimut Löser, Dr. Regina D. Schiewer, Meister-Eckhart-Gesellschaft
Prof. Dr. Dr. h. c. Hans-Jochen Schiewer, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Zeit: Freitag, 13. März bis Sonntag, 15. März
Ort: Freiburg, Katholische Akademie, Wintererstr. 1
Anmeldung (bis zum 4. März): Flyer (pdf)

Die einzelnen Referate werden moderiert von:
Prof. Dr. Christine Büchner (Katholische Theologie, Hamburg)
Prof. DDr. Markus Enders (Christliche Religions-philosophie, Freiburg)
Dr. Gotthard Fuchs (Theologie, Wiesbaden)
Prof. Dr. Burkhard Hasebrink (Mediävistische Germanistik, Freiburg)
Prof. Dr. Nigel F. Palmer (Mediävistische Germanistik, Oxford)
Prof. Dr. Loris Sturlese (Philosophiegeschichte, Lecce)
Prof. Dr. Rudolf Weigand (Mediävistische Germanistik, Eichstätt)

Programm

10.00 Führung in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek durch die Handschriften der Sammlung Leuchte
Treffpunkt: vor dem Kollegiengebäude I der Albert-Ludwigs-Universität zwischen Homer und Aristoteles (Platz der Universität 3)
12.00 Münsterführung mit Prof. Dr. Konrad Kunze
Treffpunkt: unter den Arkaden des Historischen Kaufhauses auf der Südseite des Münsterplatzes
14.30 Ankunft in der Katholischen Akademie
Kaffee und Tee stehen bereit
15.00 Eröffnung der Tagung
Begrüßung (Thomas Herkert / Dr. Regina D. Schiewer)
15.15 Eröffnungsvortrag
Prof. Dr. Freimut Löser (Mediävistische Germanistik, Augsburg):
Unser Eckhart. Wie Schreiber »ihren« deutschen Eckhart schreiben
16.00 Dr. Regina D. Schiewer (Mediävistische Germanistik, Eichstätt):
Vom Seelenwinkel
16.45 Kaffee-/Teepause
17.00 Prof. Dr. Markus Vinzent (Evangelische Theologie, London/Erfurt):
Die Rezeption des lateinischen Eckhart
18.00 Abendessen
19.30 Sprechtheater »Laut & Lyrik«
20.30 Empfang
9.00 Michael Hopf (Mediävistische Germanistik, Augsburg):
Der Name des Meisters. Überlegungen zur Eckhartrezeption in den sog. Eckhartlegenden
10.00 Dr. Lydia Wegener (Mediävistische Germanistik, Bern/Berlin):
»Diz sprichet ein hôher meister« – Die Eckhartrezeption in den mystischen Mosaiktraktaten »Von der übervart der gotheit« (Pfeiffer-Traktat XI,1-3) und »Von dem anefluzze des vater« (Pfeiffer-Traktat XIII)
11.00 Kaffee-/Teepause
11.30 Prof. Dr. Dagmar Gottschall (Mediävistische Germanistik, Lecce):
Anonyme volkssprachliche Traktatliteratur als eine Form des Weiterwirkens von Meister Eckhart im 14. Jahrhundert. Versuch einer Bestandsaufnahme
12.30 Mittagessen
15.00 Dr. Klaus-Bernwart Springer (Ordensgeschichte, Erfurt):
Eckharts Wirkungen im Dominikanerorden im 14. und 15. Jahrhundert
16.00 Kaffee-/Teepause
16.30 Dr. Gilbert Fournier (Geschichte, Colmar):
Eine widersprüchliche Rezeption. Die Bulle »In agro dominico« in der Handschrift Bernkastel-Kues, St. Nikolaus-Hospital 21
17.30 Prof. Dr. Mikhail Khorkov (Philosophie, Moskau):
Eckhardus theutonicus in latinum translatus: Latin Translations of the German Texts by Meister Eckhart and their Reception in the 15th Century
18.30 Abendessen
20.00 Mitgliederversammlung der Meister-Eckhart-Gesellschaft
8.15 Einladung zur Eucharistiefeier
9.15 Laurentiu Gafiuc (Mediävistische Germanistik, Augsburg):
Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten
10.15 Dr. Balász Nemes (Mediävistische Germanistik, Freiburg):
Eckhart lesen – mit den Augen seiner Leser. Historisch mögliche Eckhart-Lektüren im Augustinerchorherrenstift Rebdorf
11.15 Kaffee-/Teepause
11.30 Diskussionsimpuls mit Zusammenfassung der Tagung
Leitung: Prof. Dr. Dietmar Mieth (Theologie/ Germanistik/Philosophie, Tübingen)
13.00 Mittagessen – Ende der Tagung

Hinweis: Die mit der Bibliographie verlinkten Titel der Vorträge entsprechen nur teilweise den späteren Titeln der Aufsätze im Meister-Eckhart-Jahrbuch 11.

Freimut Löser, Unser Eckhart. Wie Schreiber »ihren« deutschen Eckhart schreiben
Der Beitrag zeigt, mit welch unterschiedlichen Interessen und Methoden im 14. und 15. Jahrhundert Prediger, Redaktoren und Schreiber die Texte Meister Eckharts überliefern oder sich ganze Texte und Bausteine zu eigen machen.
Eine kurze Einleitung geht auf das Verhältnis Taulers und Seuses zu Eckhart ein und entwirft anhand des sogenannten Basler Taulerdrucks das spannungsvolle Verhältnis der Eckhartrezeption zwischen Bewunderung für dessen Subtilität und Gelehrsamkeit auf der einen und der Warnung vor der Häresiegefahr auf der anderen Seite.
Vier Beispiele demonstrieren unterschiedliche Rezeptionsmuster:
Die Redaktion der dominikanischen Sammlung ›Paradisus anime intelligentis‹ (vor 1341) überliefert die Predigten Eckharts zwar, wiewohl streckenweise etwas gekürzt, in der Regel als ganze, überarbeitet sie aber im Sinn einer Akademisierung der Sprache und dogmatischen Bereinigung vor allem im Sinn der dominikanischen Ansicht vom Vorrang des intellectus.
Der Zisterzienser Nikolaus von Landau, ebenfalls vor 1341 und damit der erste deutsche Prediger überhaupt, der Eckhart für seine eigenen Predigten verwendet, baut größere Abschnitte aus Eckharts Texten in die eigene Musterpredigtsammlung für die Novizen ein, diese dabei auch kürzend und vor allem sprachlich verändernd.
Marquard von Lindau, in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts der produktivste Schriftsteller des Franziskanerordens (N. Palmer), distanziert sich zwar von einzelnen Punkten der Lehre Eckharts, übernimmt aber Bruchteile aus seinem Werk in die eigenen Texte. Dabei unterzieht er Eckharts Ansichten gleichzeitig einer Revision.
Der benediktinische Laienbruder Lienhart Peuger bearbeitet Eckharts deutsche Predigten um die Mitte des 15. Jahrhunderts für Laienbrüder des reformierten Stifts Melk und passt die Texte dabei der eigenen Klosterspiritualität an (z.B. Marienverehrung, Betonung der frommen Werke).
Auf diese Weise wird Eckharts Name (z.B. durch Peuger) zwar voller Ehrfurcht weiter gegeben, die Texte aber werden in einer fruchtbaren Auseinandersetzung bearbeitet, verändert und in neue Kontexte eingepasst.

Regina D. Schiewer, Vom Seelenwinkel
Meister Eckhart verwendete die unterschiedlichsten Sprachbilder, um seinen Zuhörern zu verdeutlichen, dass sich das Göttliche in ihrem Innersten befand. Er sprach vom »Seelenfünklein«, dem »Bürglein in der Seele« und vom »Seelengrund«. Von einem »Seelenwinkel« dagegen lesen wir in den heute als authentisch klassifizierten Eckharttexten nichts. Trotzdem begegnet das Konzept vom Seelenwinkel in mindestens drei Texten, die aller Wahrscheinlichkeit nach im 14. Jahrhundert in Straßburg entstanden sind: im Zweimannenbuch der Johanniterkommende zum Grünen Wörth, in einer unikalen Variante von Eckharts Predigt 12 und in einem Eucharistietraktat. Die drei Texte entwerfen ein Konzept des Seelenwinkels mit folgenden Grundzügen:
1. Der Seelenwinkel ist ein Ort in der Seele, den sich Gott vorbehält und in dem er auch bleibt, wenn der Mensch sich durch sein Denken und Handeln von ihm entfernt.
2. Gott ist in diesem Seelenwinkel in seiner Seinshaftigkeit, im reinen Sein, das keinen Unterschied zwischen Ich und Du kennt.
3. Dieses Gedankenmodell verknüpft der Verfasser des Eucharistietraktats mit dem kirchlichen Sakrament: Statt der Gottesgeburt in der Seele wird Gott durch das Opfer des Sohnes bei der Wandlung in die Hand des Priesters geboren. Durch Demut und Andacht hat der Mensch teil an der Gnade dieser göttlichen Geburt. Die Kraft des Sakraments kann der Mensch auch ohne die Form des Brotes empfangen. Mit der Seele des Menschen, der das Sakrament ohne Todsünde empfängt, vereinigt sich Gott. Wie das Kind im Leib der Mutter wird Gott im Seelenwinkel durch die Kraft des Sakraments gespeist.
Der Eucharistietraktat dürfte der Ursprung des Konzepts vom Seelenwinkel sein. Der unbekannte Autor des Traktats war vermutlich eine Person, die versuchte, Tradition mit theologisch-philosophischen Strömungen der Zeit zu verknüpfen: Die zum Traktat gehörige Messauslegung erfolgt eindeutig in Kenntnis, wenn nicht auf der Grundlage der Messauslegung ›Von den Zeichen der Messe‹ Bertholds von Regensburg. Sie versucht, den regulären Sakramentsempfang als Heilsmittel der Kirche zu verknüpfen mit der Einheitsmystik Eckharts. Wir werden diese Person auch aufgrund der Mitüberlieferung in der betreffenden Handschrift in Straßburg im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts zu suchen haben.

Markus Vinzent, The Vernacular Reception of Eckhart’s Latin Works 
Although ample material is already given in the footnotes of the critical edition of Eckhart’s works, little research has been done on the bridge between his Latin and German works. This contribution can therefore merely outline the desideratum of further studies by pointing out a few trajectories, focussing on Eckhart’s exegetical works. Firstly, the contribution mentions four foremost vernacular interpretations of the Lord’s Prayer which are indebted to Eckhart to various degrees and in many forms, particularly to his exegesis of the Lord’s Prayer (Thomas de Aquino vff daz wort ‘fader’; Ciprianus spricht: Der Uns daz Leben etc.; Unser aller liebster Her Ihesus and Diz ist daz pater noster myt der glosen Meister Eckart). In a second step, the paper concentrates on two manuscripts: starting with Berlin, manuscript fol. germ. 986, the examination will then focus on the newly re-discovered Codex P, mentioned by Pfeiffer as a privately owned Codex from Gießen, which turned out to be preserved as Ms. 1361-50 Eisenach, Bibliothek der Wartburg-Stiftung. As the paper tries to show in a preliminary assessment, these two manuscripts seem to have preserved Eckhart’s own translation and elaboration of his Latin exegetical commentaries (In Gen. I and II, In Ex., In Eccl., In Sap. and In Ioh.) which he has given as lectures to a non-academic audience.

Michael Hopf, Der Name des Meisters. Überlegungen zur Eckhart-Rezeption in den sog. Eckhart-Legenden
Meister Eckhart lebte im 14. und 15. Jahrhundert nicht nur als erinnerte historische Person und als Urheber eines reichen geistlichen Schrifttums fort, sondern auch als eine inszenierte literarische Figur. Sorgsam gestaltete Kurzdialoge zeigen diese Eckhart-Figur im theologischen Disput mit einfachen Gläubigen, die kompetent über Kerninhalte eckhartischer Lehre verfügen und sie in konkrete Lebenspraxis umsetzen. Beispielhaft stehen dafür die Dialoge ›Meister Eckhart und der arme Mensch‹ sowie der sog. ›Armutsdialog‹, die auf je eigene Weise die bekannte Lehre von der geistlichen Armut konkretisieren: Im ersten Fall als bedingungslose Überlassenheit in den Willen Gottes, im anderen Fall als Fortentwicklung der Dreiheit von nicht Wollen, nicht Wissen und nicht Haben im Hinblick auf menschliches Handeln.
Durch die Verquickung von Namen und Lehre dürften solche Texte mehr zu einer bewussten Eckhartrezeption beigetragen haben als ein großer Teil der authentischen, oft aber anonym überlieferten Schriften des Dominikaners. Aber dieses Eckhart-Bild ist in hohem Maß textgeschichtlichen Prozessen unterworfen: Im Fall von ›Meister Eckhart und der arme Mensch‹ fehlt der Name »Eckhart« genau in der Fassung, die die eckhartische Lehre besonders prononciert vertritt, taucht aber in Folge einer Textkompilation in einer späteren, inhaltlich verwässerten Fassung auf. Der ›Armutsdialog‹ zeigt Eckhart im Falle der niederländischen Handschrift Br9 intradiegetisch als aufmerksamen Zuhörer eines Laien und im Falle der ehemals Freiburger Handschrift N20 extradiegetisch als Lehrer und Dialog-Erzähler – beide Male liegen einige der äußerst seltenen Zuweisungen der Armutslehre an den Dominikaner vor.
An den sog. ›Eckhart-Legenden‹ lassen sich also literarische Transformationsprozesse wie die Umsetzung von gepredigter zu dramatisierter Theologie genauso beobachten wie Imaginationsprozesse, die denjenigen, der stets der Bildlosigkeit das Wort redete, ins Bild setzen.

Lydia Wegener, Diz sprichet ein hôher meister – Die Eckhart-Rezeption in den mystischen Mosaiktraktaten ›Von der übervart der gotheit‹ (Pfeiffer-Traktat XI, 1-3) und ›Von dem anefluzze des vater‹ (Pfeiffer-Traktat XIII)
Eine Form des kreativen Umgangs mit eckhartischem Gedankengut stellen Mosaik- und Komposittraktate dar. Dabei handelt es sich um Prosatexte, die aus kleineren oder größeren Texteinheiten zusammengestellt werden. Zur Zeit entsteht in Berlin eine Ausgabe jener pseudo-eckhartischen Traktate, die in der Eckhart-Ausgabe Franz Pfeiffers aus dem Jahr 1857 die Nummern XI (1-3), XIII und XVI tragen. Um der besonderen literarischen Gestalt dieser Traktate gerecht zu werden, unterteilt die Neuedition sie in einzelne durchgezählte »Mosaiksteine« oder Paragraphen. Auf diese Weise lässt sich die handschriftliche Fluktuation der Textbausteine genau erfassen und in einer synoptischen Edition darstellen. Schwierig ist der Herkunftsnachweis der einzelnen Paragraphen. Erste Ergebnisse der Detailanalyse lassen jedoch darauf schließen, dass die Traktate kleine Textsequenzen aus anderen Pseudo-Eckhartiana, evtl. auch aus Eckhart-Schriften, übernehmen, um diese dann eigenständig auszuformulieren.
Der Bezug der Traktate zu Meister Eckhart lässt sich zur Zeit nur für Traktat XI/1 genauer beschreiben: Ungeachtet seiner terminologischen wie thematischen Nähe zu Eckharts Schriften kann der Traktat nicht als eine Art Abbreviatur eckhartischer Lehre aufgefasst werden. Vielmehr zeigt er trotz seines kompilatorischen Charakters ein eigenständiges Profil, das sich in dreierlei Hinsicht offenbart: 1.) Seine moralischen, auf die christliche Lebensführung ausgerichteten Anweisungen finden sich so nicht in Eckharts Œuvre. 2.) Das »gefährliche« eckhartische Zentralthema der Gottesgeburt im Seelengrund meidet Traktat XI/1. 3.) Auch die spekulativen Themen erfahren im Vergleich zu Eckharts Schriften eine Umakzentuierung. So wird mit Nachdruck die bleibende Kreatürlichkeit der Seele in der unio betont.

Dagmar Gottschall, Anonyme volkssprachliche Traktatliteratur als eine Form des Weiterwirkens von Meister Eckhart im 14. Jahrhundert. Versuch einer Bestandaufnahme
Der typische Überlieferungsträger für Meister Eckharts volkssprachige Schriften ist die »mystische Sammelhandschrift«, die geistliche Texte unterschiedlicher Provenienz meist anonym und überwiegend in Exzerptform bewahrt. Das »Layout« dieser Sammelhandschriften zeigt, dass Exzerpte aus authentischen und ps.-eckhartischen Predigten, zusammen mit nicht näher identifiziertem Material, zu größeren Einheiten zusammengeführt werden. Parallel zu dieser Form der Eckhartrezeption verläuft die Produktion geistlicher Traktatliteratur in Nachahmung oder Auseinandersetzung mit Eckhart. Seit der Eckhart-Ausgabe Franz Pfeiffers von 1857 hat sich für diese anonymen Texte die Bezeichnung ps.-eckhartische Traktate eingebürgert. Literaturproduktion als Segmentierung, Kompilation und Adaptation bereits bestehender Texte scheint ein Charakteristikum des 14. Jahrhunderts zu sein und setzt mit der Verbreitung von Eckharts volkssprachigen Predigten noch zu Lebzeiten des Meisters ein.
Der Beitrag konzentriert sich auf Handschriften des 14. Jahrhunderts, die Ps.-Eckhartiana und Eckhartpredigten in Exzerptform überliefern, und versucht, ausgehend von der Struktur dieser Texte, eine Typologie der anonymen volkssprachlichen Traktatliteratur zu entwerfen. Dabei erweisen sich Texte hochspekulativen Inhalts zur Seelen- oder Trinitätslehre (vgl. Pfeiffers Traktatgruppe XI, XIII, XVI und II) als besonders instabil, während solche zu Fragen der praktischen Lebensführung festere Strukturen besitzen. Als besonders stabilisierender Faktor lassen sich numerische Reihungen nennen: zwölf Nutzen des Eucharistieempfangs (Pfeiffers Tr. I), 24 Zeichen der Vollkommenheit (Pfeiffers Tr. VII), vier Formen der Armut (Pfeiffers Tr. X), sechs Übungen der Vollkommenheit (›Von Vollkommenheit‹), zwei Wege (›Von zweierlei Wegen‹) etc. Als letzter Punkt wird am Beispiel von Eckharts Predigt 23 der Umgang mit Predigt-Exzerpten betrachtet.

Klaus-Bernwart Springer, Eckharts Wirkungen im Dominikanerorden im 14. und 15. Jahrhundert.
Wirkungen des Dominikaners Eckhart von Hochheim in seinem Orden gab es im Spätmittelalter in Philosophie und Theologie, Seelsorge und Mystik wie in der Leitung und Verwaltung der Ordensprovinz Saxonia. Anhänger Eckharts vornehmlich in Köln wie an den Wirkungsstätten Erfurt (die Lektoren des ›Paradisus‹) und Straßburg (Tauler) gaben nach der päpstlichen Verurteilungsbulle von 1329 seine Texte bzw. sein Gedankengut weiter. Miss- und Unverständnis führten zu einer seelsorglich-pastoral ausgerichteten, je eigenständigen »orthodoxen« Adaption des Werks nicht nur bei Seuse und Tauler. In der Ordenshistoriographie wurde Eckhart kaum genannt, mit Ausnahme seines Zeitgenossen Bernard Gui. Der Wandel in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Kontext der Observanz besonders ab Johannes Meyer gab dem anonymen Eckhart im Teilbereich der Ordensgeschichtsschreibung den Namen wieder. Erst ab dem 19. Jahrhundert wurden Eckharts Wirkungen (bis zur Reformationszeit) als Gründungsprovinzial der Saxonia bekannt: Provinzialsiegel, Konventgründungen und Unterstützung von Klöstern gegenüber städtischen Magistraten, Verlegung des Dominikanerinnen-Klosters Lahde nach Lemgo und Finanzierung des Provinzials gemäß eines Beschlusses des Seehausener Provinzkapitels 1308. Eckharts Nachfolger in der Provinzleitung von Johann von dem Bussche (1311-15) bis zum 1350-54 amtierenden Konrad von Halberstadt dem Jüngeren, der 1326/27 Eckharts »Sekretär« in Köln war, hatten unterschiedliche Berührungspunkte zum Meister, so dass sie einer Wirkung Eckharts vermutlich nicht ablehnend gegenüberstanden. Die schwache Rezeption Eckharts im akademischen Bereich erlosch um 1360; der Meister bildete anders als etwa Albertus Magnus keine »Schule«. Eine Untersuchung »mystischer Schriften« von Dominikanern auf Wirkungen Eckharts wäre noch genauer zu leisten. Hinzuzufügen ist, dass der Meister in einigen Schwesternbüchern genannt wurde. Dominikanerinnen übernahmen mitunter Eckharts Gedankengut, passten manches ihren Vorstellungen ein und lehnten anderes ab. Festzustellen sind daher vielfältige Wirkungen Eckharts und zu differenzierende Nachwirkungen.

Gilbert Fournier, Eine widersprüchliche Rezeption. Die Bulle ›In agro dominico‹ in der Handschrift Bernkastel-Kues, St. Nikolaus-Hospital 21
Das Interesse an den Beziehungen zwischen Meister Eckhart und Nikolaus von Kues hat niemals nachgelassen. Die neuesten Projekte und Forschungsunternehmungen des Trierer Cusanus Instituts und der Universität Metz zeigt vielmehr eine steigende Tendenz. Die lateinische Eckhart Handschrift 21 des St. Nikolaus-Hospital in Bernkastel-Kues ist ein Zentrum dieses Interesses. In den letzten Jahren bezeugen unter anderem Aufsätze von D.F. Duclow, G. Steer, S. Frost und W.A. Euler die rege Forschungstätigkeit, die sie auslöst.
Das letzte Wort über diese breitangelegte Handschrift wurde aber noch nicht gesprochen. Die Kenntnisse über ihre Genese und Geschichte stützen sich immer noch auf ihren Neuentdecker Heinrich Denifle (1886). Vergebens sucht man eine präzise Beschreibung. Unser Beitrag versucht erstens, diese Lücke zu schließen. Die Philologie wirft ein neues Licht auf die Entstehung der Kueser Handschrift. Die Rückverweise der Bulle (›Vide supra Johannem‹) führen uns eindeutig in die Schreibstube des Kopisten, in eine Zeit (1444), zu der die Verurteilung des Johanneskommentars Meister Eckharts noch ausstand – ganz im Gegensatz zu heute.
Unser Beitrag verfolgt auch ein zweites Ziel: Er liefert einen Beitrag zur Überlieferungsgeschichte der Bulle ›In agro dominico‹ – seit langem ein Desiderat der Wissenschaft. Die Kueser Handschrift ist der einzige Zeuge, in dem die Verurteilung und Eckharts Werke nebeneinander abgeschrieben wurden. Es begegnen uns in der Eckhart-Überlieferung zwar Fälle, in denen sowohl die Bulle als auch Texte Eckharts gleichzeitig an einem Ort, sogar in einer Bibliothek, versammelt sind, wie beispielsweise in der Bibliothek Nikolaus Glusen (1415), aber nie zwischen denselben Buchdeckeln vereint wie in der Kueser Handschrift. Einige Merkmale dieser Fassung der Bulle bezeugen darüber hinaus das Einweben der Verurteilung in die Handschrift, so die Quellenangabe und die Textersetzung der Artikel, die aus dem Johanneskommentar stammen. Die Reduzierung der Bulle auf die bloßen Artikel vollendet ihre Verwandlung in einen Autortext. Die Verurteilung ähnelt den anderen authentischen Eckharttexten der Handschrift, so dass man zum Schluss von einer widersprüchlichen Rezeption der Bulle ›In agro dominico‹ in der Handschrift Bernkastel-Kues, St. Nikolaus-Hospital, 21 sprechen kann.

Mikhail Khorkov, Eckhardus theutonicus in latinum translatus: Latin Translations of the German Texts by Meister Eckhart and their Reception in the 15th Century
The aim of my paper is to examine main forms and strategies of the reception of the Latin translations of the German vernacular texts by Meister Eckhart in the 15th century. The Latin translations of the German texts by Meister Eckhart were perhaps the least common form of reception of Eckhart’s works in the Later Middle Ages. As far as we know, his German and Latin works existed separately at that time, and they did not form a single corpus of texts. Very few exceptions to this rule are therefore particularly interesting and worthy of our research attention.
The German texts by Eckhart were partially translated into Latin not only during the legal proceedings against him, when they were intended to appear controversial and opposed to the Church’s doctrines, but also after Eckhart’s death. This anonymous translation activity was concentrated on the production of Latin versions of some German sermons by Eckhart and of selected pseudo-Eckhartiana. Among other things, this activity was probably associated with a trend to justify Eckhart’s controversial theories, giving them a correct dogmatic sense by means of a new translation.
The well-known debates between Nicholas of Cusa and John Wenk constitute a good example of a discussion on the limits of acceptability of the reception of these translations. In his polemical work ›De ignota litteratura‹, which was composed against ›De docta ignorantia‹, John Wenck of Herrenberg, a professor of theology at the university of Heidelberg, cites three excerpts from three German works of Meister Eckhart: ›Liber benedictus‹, German sermons 2 and 6 (numeration according to the critical edition by J. Quint). There is no doubt that in his polemical treatise, John Wenck touched the core issue of the late mediaeval debates on the Eckhart heritage and its compatibility to the dogmatically uncontroversial Christian anthropology. His main point is obvious: Had Cusanus not read the German works by Meister Eckhart, he would not have constructed his ideas at all, and without »intoxication« by Eckhart’s introvert and optimistic spiritual anthropology, he would not have made an attempt to write a treatise like ›De docta ignorantia‹.
Comparing the cited passages from Eckhart’s texts used in the treatise by John Wenck with a Latin version of the German sermon ›Intravit Iesus in quoddam castellum‹ in the Ms. Koblenz, Landeshauptarchiv, Abt. 701, Nr. 149, ff. 10v—13v, I come to the conclusion that the main object of the critique in ›De ignota litteratura‹ was the rehabilitation of some metaphysical and anthropological teachings of Meister Eckhart in the Latin translations of his German sermons made during the Late Middle Ages. It seems plausible that a collection of Latin translations of the vernacular sermons and other works by Meister Eckhart was circulated among mystical circles on the Upper and Middle Rhine in the 14th and 15th centuries. This can be inferred from the fact that the same stereotypical constructions are found in Latin translations of Eckhart's German sermons, in the works of Nicholas of Cusa and in the »Eckhart passages« quoted by John Wenk (e.g. sine modo et proprietate; unus et simplex et sine modo et proprietate; nec est Pater, nec Filius, nec Spiritus Sanctus; constaret eum omnia sua nomina divina et suas proprietates personales, etc.), while other formulations differ from each other in the remaining parts. Thus, it is unlikely that each of the authors (translators, compilers) had to translate Eckhart from German into Latin independently from the other translators. Most likely, they all refer to an existing Latin translation of the German sermons by Meister Eckhart. I think the detailed reconstruction of this collection (only partially preserved in Ms. Koblenz) – which I would like to undertake in my paper – will give a clearer demonstration of its importance and influence on the German intellectual culture of the 15th century.

Laurentiu Gafiuc, Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten
»Hat es ein Corpus der deutschen Predigten Meister Eckharts gegeben?« Diese Frage stellte Loris Sturlese anlässlich des Meister-Eckhart-Gedenkjahres in Erfurt im Jahr 2003. Ausgehend von der bekannten dominikanischen Predigtsammlung ›Paradisus anime intelligentis‹ stellte er Arbeitsweisen und Anordnungsprinzipien mittelalterlicher Prediger und Redaktoren vor, die als Relikte in einigen alemannischen Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts noch erkennbar sind – trotz der »desolate[n] Überlieferungssituation der deutschen Predigten Eckharts, die ein ungewöhnlich hohes Maß an Zersplitterung aufweist und selbst heute noch nicht vollständig erfasst ist«. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die in der Forschung immer wieder geforderte Rekontextualisierung, welche die deutschen Predigten Eckharts in einer historisch plausiblen, nach dem Kirchenjahr geordneten Abfolge darstellen würde. Diese ließe Eckhart nicht als immer ›unprovokanter‹ werdenden Intellektuellen erscheinen, sondern als das, was er neben seinen zahlreichen anderen Verpflichtungen war: ein am Schriftwort orientierter Prediger.
Die Handschriftenüberlieferung zeigt, dass innerhalb der Eckhart-Rezeption des 14. und 15. Jahrhunderts mehrere Predigtsammlungen entstanden sind, die über viele Jahrzehnte in gleicher oder leicht veränderter Form existierten und deren Tradierungswege relativ deutlich nachgezeichnet werden können. Eine liturgische Anordnung lässt sich aber in den wenigsten Fällen beobachten; vielmehr waren für die Kompilatoren andere Kriterien von Bedeutung. Diese Untersuchung beschränkt sich auf eine Predigtsammlung in einer kleinen Zahl von Handschriften alemannischer Provenienz, die überlieferungs- und textgeschichtlich eng miteinander verwandt sind. Es soll gefragt werden: In welchem Umfeld ist die Sammlung überliefert? Welche inhaltlichen Anordnungskriterien lassen sich erkennen? Und in welchen literarischen Kontexten wurden die Predigten gelesen?

Balász Nemes, Eckhart lesen – mit den Augen seiner Leser. Historisch mögliche Eckhartlektüren im Augustinerchorherrenstift Rebdorf
Das Augustinerchorherrenkloster Rebdorf ist kein unbekannter Flecken auf der Landkarte der spätmittelalterlichen Mystik. Seine Erhebungen, zu denen etwa die signifikante Tauler-Überlieferung oder die hochdeutschen Übertragungen von Werken der niederländischen Mystik gehören, haben »Mystographen« vermessen; die Niederungen, für die die sonstigen Inhalte des weitestgehend erhaltenen Bibliotheksbestandes stehen, findet man in modernen Beschreibungskatalogen oder auch in Spezialuntersuchungen dokumentiert.
Freilich gibt es auch weiße Flecken. Zu diesen weißen Flecken gehört etwa die Eckhart-Überlieferung. Die Präsenz eckhartischen Schrifttums in Rebdorf ist keineswegs selbstverständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Rebdorf zur Windesheimer Observanz gehörte, deren Frömmigkeitsprofil stark von der devotio moderna geprägt war. Angesichts des selektiven, ja sogar (auch und gerade im Hinblick auf Eckhart) restriktiven Literaturprogramms der Gründungsväter der devotio moderna verwundert es, auf Eckhartiana (ob echt oder unecht, spielt keine Rolle) in Rebdorf zu stoßen. Es stellt sich dabei die Frage, ob die in Rebdorf anzutreffende Eckhart-Überlieferung solcher Art ist, dass man sie auch Eckhart-Rezeption nennen darf.
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man sich dieser Frage nähern kann. Zum einen kann man nach Präsenz, Gebrauchsfrequenz und Valenz des Namens Eckhart in Rebdorf fragen. Damit rückt die zeitgenössische Wahrnehmung bzw. Wahrnehmbarkeit von Eckhart in Rebdorf in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Zum anderen besteht die Möglichkeit, von jenen Texten auszugehen, die wir mit Eckhart in Verbindung bringen. Methodisch unerlässlich ist dabei, einen Bezugsrahmen zu definieren, der uns in die Lage versetzt, historisch mögliche Eckhart-Lektüren zu eruieren und Trampelpfade historischer Textdeutungen aufzudecken. Dieser Bezugsrahmen kann sowohl die kodexinterne als auch die kodexübergreifende Mitüberlieferung, die Bibliothek – verstanden als eine »begehbare Sammelhandschrift« (Johannes G. Mayer) – sein, bildet sie doch hier wie dort den Deutungs- und Resonanzraum eines bestimmten Textes. Wie man die kodexübergreifende Mitüberlieferung als Deutungs- und Resonanzraum vorzustellen hat, soll am Beispiel der in Rebdorf anonym überlieferten Armutspredigt (Nr. 52 in der kritischen Eckhart-Ausgabe), genauer: anhand des ihr beigegebenen Kommentars, skizziert werden. Mein Hauptaugenmerk gilt jedoch nicht dieser Art von Eckhart-Rezeption, sondern den expliziten Zuweisungen von Texten an Eckhart, ohne dabei jene Fälle zu unterschlagen, die scheinbar auf eine verweigerte Eckhart-Rezeption schließen lassen.
Wie die kulturwissenschaftlich orientierte Raumforschung setzt die vorliegende Studie einen Topographie-Begriff voraus, der die in der handschriftlichen Überlieferung beobachtbaren epistemologischen Ordnungs- und Verortungsverfahren von geographisch definierbaren Orten und konkreten Institutionen zwar nicht entbindet, doch dabei (ganz im Sinne des topographical turn) vor allem die Praktiken der Verortung, d. h. das Graphische am Topographischen, akzentuiert.