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Eckhart Tage Erfurt 2013

Nachdem im Jahr 2003 in Erfurt ein großes Programm „Wege zu Meister Eckhart “ mit vielen Projektträgern und einer Fülle von Veranstaltungen, Ausstellungen und Publikationen vollzogen worden war, ließ die Kontinuität der wahrnehmbaren Präsenz Meister Eckharts in Erfurt zu wünschen übrig. 2005 fand die erste Tagung der MEG in Erfurt statt, die als Jahrbuch 1 der MEG veröffentlicht wurde. 2010, als in München, in Paris und in Mainz Tagungen zum Gedächtnis an Meister Eckharts angenommenes Geburtsdatum (1260 ) stattfanden, wurde in Erfurt ein erfolgreiche Vortragsreihe von der Predigergemeinde, den kirchlichen Bildungswerken und der MEG organisiert. 2011 wurde dort die 7. Tagung durchgeführt, die als Jahrbuch 6 dokumentiert ist.
Die Bemühungen, über die Thüringer Regierung mehr Kontinuität zu erreichen (seit 2008) waren ebenso wie bei der Stadt, dem Tourismus und den universitären Gegebenheiten, aufhaltsam und zunächst nicht besonders ergiebig. Eine Ausnahme stellte das Max Weber Kolleg (MWK) der Universität dar. Seit ich (2009) als Fellow im Programm der Kollegforschergruppe „Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive“ für religiöse Bewegungen im Mittelalter mitwirken durfte, ergaben sich Synergie-Effekte zwischen den Programmen und Projekten der MEG, des MWK (bzw. der DFG) sowie den Katholischen Akademien in Bayern und in Mainz: Tagungen zwischen 2009 (Regensburg, Jahrbuch 5), 2010 (München: Meister Eckhart im Original, Jahrbuch 7), 2010 (Mainz, Buch „Mystik, Recht und Freiheit“), 2011 (Erfurt s.o.), 2012 (München: Religiöse Individualisierung – Eckhart, Tauler, Seuse, in Vorbereitung: Jahrbuch 8), 2013 (Mainz: Sprachbilder und Bildersprache bei Meister Eckhart, in Vorbereitung: Jahrbuch 9).
In Erfurt fand sich 2012 ein Initiativkreis Meister Eckhart (meister-eckhart-erfurt.de ) zusammen, der damit begann, für 2013 Eckhart-Tage in Erfurt zu planen. Vertreten waren die Predigergemeinde, die MEG, die Universität Erfurt durch das MWK, die Evangelische Stadtakademie Meister Eckhart, das Katholische Forum, und eine Reihe von engagierten Einzelpersonen.
Begleitend zur Initiative für 2013 (s.u.) wurden Broschüren für eine Eckhart-Initiative im Bildungs-Tourismus bzw. spirituellen Tourismus erstellt. Die Broschüre „Meister Eckharts Faszination heute“ liegt inzwischen nicht nur in Erfurt (Predigerkirche, Tourismusbüro) aus, sondern sie ist inzwischen auch auf Englisch erhältlich. Sie wird im englischsprachigen Raum verteilt, derzeit z.B. in Korea. Hier waren der kostenlose Einsatz von Autor, Fotograf Schmidt und Übersetzer Markus Vinzent hilfreich. Bis September wird auch die zweite Broschüre, ebenfalls in beiden Sprachen, aufliegen: „Ein Weg der Erfahrung mit Meister Eckhart durch Erfurt“ (Autor: Mieth, Übersetzung: Vinzent, Fotograf: Schmidt). Die Initiative für diese Broschüre hat die Identity Foundation unterstützt und Druckkosten mit übernommen.
Der Initiativkreis konnte für die geplanten Eckhart-Tage 2013 mit dem MWK, der Predigergemeinde, mit Anne-Marie Vannier, der Erfurter „ Herbstlese e.V.“ an Eckharts Weg von Paris an den Rhein (1313) erinnern. Das Thema war daher: „1313-2013: Der Thüringer Meister Eckhart als Begründer der Rheinischen Mystik?“ Diesem Thema diente dann ein zweitägiger wissenschaftlicher Workshop, veranstaltet vom MWK im Predigerkloster (50 Teilnehmer, Bericht s.u.)

Foto: Mika Matsuda
Insbesondere wurde die renommierte Schauspielerin Martina Gedeck zu einer Eckhart Lesung in der Predigerkirche und zugleich als Schirmherrin der Eckhart-Tage 2013 mit Hilfe der Herbstlese eV eingeladen. Diese Lesung am Donnerstagabend, den 4. Juli, in der Predigerkirche war ausverkauft und sehr eindrucksvoll. Frau Gedeck verstand es, in einer von innen getragenen Intensität die Gedanken Meister Eckharts, trotz ihres hohen philosophischen Anspruches, mit viel Einsicht und Einfühlung, in einer direkt das Herz ansprechenden Unmittelbarkeit, vorzutragen.

Ein Einkehrtag am Samstag, den 6. Juli, im Predigerkloster, den Frau Morawietz (Erfurter Theologin) umsichtig vorbereitet und durchgeführt hatte, mit der innerlichen und schweigenden Verarbeitung von Texten im Chorgestühl der Kirche, fand sehr viel Lob bei den ca 50 Teilnehmern.
Den Abschluss bildete ein festlicher, ökumenischer Gottesdienst, umrahmt von Liedern Mechthilds von Magdeburg, in der Predigerkirche am Samstag, den 6. Juli, 18.00 Uhr, mit Pfarrer Dr. Holger Kaffka, der evangelischen Landesbischöfin Ilse Junkermann, Weihbischof / Administator Dr. Reinhard Hauke und Kardinal Professor Dr. Walter Kasper aus Rom, der zu Eckharts Predigt zur Tempelreinigung (Predigt 1) predigte. Auch diese Veranstaltung fand eine vollbesetzte Kirche und insbesondere die Predigt Kardinal Kaspers über die „innere Tempelreinigung“ und die Gottesgeburt im Herzen wurde mit großer Zustimmung aufgenommen.
Die Meister Eckhart Tage in Erfurt werden ein Fortsetzung finden, wenn auch nicht jedes Jahr. Dazwischen sind andere Veranstaltungen und Initiativen zu Meister Eckhart in Erfurt zu erwarten.
Dazu werden weitere Gespräche mit der Kulturdirektion der Stadt Erfurt und mit dem Thüringer Kultusministerium stattfinden.

15. Juli 2013

Professor em. Dr. Dietmar Mieth (Präsident MEG)

(Einige Artikel sind in der EPD-Dokumentation 2013 veröffentlich)

Donnerstag, 4. Juli:

Begrüßung: Direktor Wolfgang Spickermann (Max Weber Kolleg).

Prof. Volker Leppin (Tübingen), Eckhart und Luther:
Eckhart galt zunächst als Vorbereiter der Reformation, dann aber auch als (schlechter) Scholastiker der „alten“ Kirche. Die luthernahe Rezeption litt unter dem Zugriff der „Deutschen Christen“.
Luther lesen heißt seine normative Zentrierung auf die „Rechtfertigung des Sünders“ wahrzunehmen.
Der junge Luther hat zwar wohl die 4 Eckhart-Predigten im Augsburger Taulerdruck gelesen. Er sah eine Wendung „Mystik gegen Scholastik“ im Sinne der religiösen Unmittelbarkeit unter Relativierung des Priestertums, las Tauler durch den Augustinus-Filter.

Prof. Marie-Anne Vannier (Metz), Eckhart und die Rheinische Mystik
„Rheinische Mystik“ ist nach dem 2. Weltkrieg eine Prägung gegen die Vereinnahmung der „Deutschen Mystik“ durch den Nationalsozialismus. „Mystik“ betont hier gegen philosophische Reduktionen die religiöse Erfahrung. Die Mystik der drei Dominikaner - Eckhart, Tauler, Seuse - bildet den Kern der „Rheinischen Mystik“ als „spekulative“ Mystik.

Dr. Maxime Mauriège (Köln, Thomas Institut), Die „compilatio mystica “ als Fortsetzung der Anliegen Meister Eckharts
Die aus dem 15. Jahrhundert stammenden, aber erst im 17. Jahrhundert zusammengestellten Texte (Hamburger Codex 1614 ), auch „Mosaiktraktate“ wegen ihrer Disparatheit genannt, enthalten überweigend Gedanken Eckharts oder der „Eckhartisten“. Das ist am Inhalt und an der Sprache nachweisbar. Die Intention der Kompilation ist nicht klar, aber sie beweist, dass es eine kontinuierliche, wenn auch nicht genaue, Überlieferung der Gedanken Eckharts gegeben hat und dass diese weiter rezipiert wurden.

PD Dr. Andres Quero-Sánchez (Regensburg und Max Weber Kolleg Erfurt), Die neuzeitliche Wiederaufnahme der „mystischen“ Vernunft: Fichte, Schelling, Hegel:
Eckharts „Warumlosigkeit“, seine Betonung der „Grundlosigkeit“ und der „Unmittelbarkeit“, in welchen Ziel- und Wirkursachen ausgeschlossen werden, können in einer Dialektik von Modernität betrachtet werden: die „konkrete“ Moderne, die vom empirischen Einzelding ausgeht und Überhöhungen entlarvt („aufklärt“) und die idealistische Moderne, die sich gerade dagegen richtet, und die durch Eckhart bzw. seine Reprise im Idealismus vorbereitet ist. Die Möglichkeit unabdingbarer und nicht rückführbarer „Erstheiten“ des Denkens wird von den idealistischen Philosophen aufgegriffen. Der Referent entfaltet sein Projekt, diesen Bezug für Schelling, vor allem über indirekte Quellen, nachzuweisen.

Prof. Christoph Bultmann (Erfurt), Wie legt Eckhart die Bibel aus? Bezüge zur alttestamentlichen Weisheit
Man kann Eckhart als einen religionskritischen Denker einordnen. Damit ist gemeint, dass er sich mit der Zweideutigkeit religiöser Praktiken auseinandersetzt und u.a. eine weisheitliche theologische Hermeneutik dagegen setzt. Durch seine Pointierung entfaltet er zugleich eine „Bibel in der Bibel“, bei der es um Verinnerlichung der Wahrheit geht, die zwischen Moses, Christus und Aristoteles wechselseitig erhellend vermittelt werden kann. Wechselseitig erhellend ist auch die Auslegung der Schrift durch die Schrift.

Dr. Christian Ströbele (Tübingen), Unmittelbarkeit und Vermittlungstrukturen göttlicher Gegenwart in der mystischen Theologie Eckharts von Hochheim und Nikolaus´ von Kues
Eckhart bekam Probleme, die in den theologischen Gutachten der Avignoneser Gutachten sichtbar sind, weil ihm eine vorbehaltlose Identifizierung von Mensch und Gott vorgehalten wurde. In der Tat enthalten Eckharts Formulierungen einen hohen Grad von Unmittelbarkeit, bei dem die kategoriale Ununterschiedenheit bzw. die Univozität als Einheitsgrund jeden Vorbehalt zu beseitigen scheinen. Bei der Relecture, die Cusanus den Texten angedeihen ließ, hat er die Intentionen Eckharts als Zielvorstellungen „sub specie aeternitatis“ bewahrt, zugleich aber die bleibende irdische „Alterität“ zwischen göttlichem und menschlichen Erkennen, Sein und Leben hervorgehoben. Im Unterschied zu Eckhart baut er explizite Sicherungen gegen Missverständnisse ein, die von den Avignonenser Gutachern repräsentiert werden, welche Eckharts eigene Absicherungen – etwa die Lehre von der bleibenden Kontingenz oder seine deutliche Berufung auf die Wort der Schrift - vermutlich als Alibi verstanden haben.

Freitag, 5. Juli:

Prof. Freimut Löser (Augsburg), Thüringer Predigten Meister Eckharts – Vorschlag für eine Edition
Wie der Bezug von Predigten zu Thüringen bzw. Erfurt zu klären? Geht es um Zeichen der Herkunft, um mitteldeutsche Sprache oder einen anderen Bezug? Das ist jeweils genau zu prüfen. Die RdU nehmen klar Bezug auf eine frühe, noch nicht edierte Predigt (Melk). Eckhart trug ein „Buch“ mit seinen Predigten bei sich. Daraus konnte in andere Dialekte übersetzt werden. Forscher wir Ruh und Steer denken bei Thüringen/Erfurt zunächst an die dominikanisch geprägte Sammlung des „Paradisus Animae Intelligentis“, die um 1310 entstanden ist, aber die Handschrift ist in hessisch. Außerdem ist sie durch eine Redaktion gekennzeichnet, welche die dominikanische Pointe „Vernunft hat Priorität vor Liebe“ besonders herausstellt. In dieser Hinsicht werden Eckharts Predigten, z.B. Pr. 9, im Vergleich zu anderen Handschriften massiv pointiert. Das muss man prüfen. Zwei thüringische Predigten (mitteldeutsche Sprache) finden sich in London: Pr. 32 (Elisabeth) und Pr. 95. Bei der Elisabeth-Predigt lässt sich der Thüringer Bezug auch besonders gut zeigen.

Prof. Katharina Bracht (Jena), Das „Granum Sinapis “ und die Väter-Theologie
Das Gedicht ist in Thüringen entstanden. Von Ruh wird es Meister Eckhart zugeschrieben. Es wird mit Sequenzen, wie sie Adam von St. Viktor schrieb, verglichen. In den ersten drei Strophen sind die Spuren der klassischen immanenten Trinitätslehre aus der patristischen Tradition gut zu verfolgen: der Bezug auf die immer sprudelnde Quelle, die Wasser ausgibt und zugleich behält. Auch die Bilder des Zusammenhaltes können verfolgt werden. Die westkirchliche Tradition des „filioque“, d.h. des Hervorgehens des Geistes aus Vater und Sohn, ist ebenfalls deutlich. Im Übergang von immanenter Trinität zur Schöpfung lassen sich insbesondere Parallelen (überraschender Weise) bei Tertullian zeigen. In der zweiten Hälfte sind die gegensätzlichen Metaphern (Licht / Dunkel; Wüste / Blüte) zusätzliche Hinweise auf die Beziehung zu Ps. Dionys, wie sie bei Eckhart zum Beispiel in der Pr. 71 nachweisbar ist. Offen bleibt, welche indirekten die Vätertheologie über Eckhart zeitlich nahe stehenden mittelalterliche Autoren genommen hat.

Dr. Chris Wojtulewicz (London), Leading the debates? Eckhart in the Context of Early Fourtheenth Century Paris:
Welche Prägungen, die aus Eckhart Pariser Quaestionen (1311-1313) stammen, lassen sich in deutsche Predigten hinein verfolgen? Wie ist das Verhältnis von Pariser „disputatio“ und Predigt. Man kann z.B. fragen, wie Eckhart „principium“ zum Ausdruck bringt, das im Deutschen auf verschiedene Möglichkeiten des Ausdrucks zurückgreifen kann: Beginn, Ursprung, Grund. Lässt sich zeigen, dass und wie Eckhart stärker „Prinzip“ im Hinblick auf den (inneren) „Grund“ pointiert? Das britische Forschungsprojekt, dass Eckharts Pariser Quaestionen und Disputationen neu erschließen will, verfolgt solche Spuren in die Predigten des „späten“ Eckhart am Rhein.

Dr. Saeed Zarrabi Zadeh (Erfurt), Practical Mysticism – Eckhart and Sufism
Zwischen Eckhart und dem islamischen Sufismus hat man gern unter dem leitenden Gesichtspunkt von Parallelen bzw. Ähnlichkeiten geforscht. Gewiss gelegentlich auch unter dem Gesichtspunkt der Unterschiede und der Abgrenzung. Für Parallelen verwies man in der Struktur des spekulativen „System“ auf Ibn Arrabi (geb. 1240). 2003 erhielt im Iran ein solcher Vergleich den iranischen Buchpreis (ebenso 2007 die Übersetzung von Flaschs Buch über den Einfluss arabischer Philosophen wie Avicenna und Averroes). Das zeigt die enorme Präsenz Eckhart in der Erforschung des Sufismus. Der Vergleich Eckhart-Rumi, den der Referent vorgenommen hat, beruht auf einer anderen Hermeneutik: gerade die Unterschiedlichkeit einer poetischen und affektiven Mystik (Rumi) mit einer intellektiven Mystik (Eckhart) erlaubt es, die Praktischen Methoden des Nachvollzuges sich wechselseitig spiegeln zu lassen.

Prof. Dietmar Mieth (Tübingen und Max Weber Kolleg Erfurt), Die individuelle Unmittelbarkeit der Mystik als Herausforderung der Religionen:
Die historischen Konflikte der individuellen Mystik, die man an den Beispielen Meister Eckhart und deutlicher noch am Prozess gegen Marguerite Porete aufzeigen kann, verwiesen auf wiederholbare Konstellationen. Im katholischen Bereich ist es eher die Ekklesiologie, in welcher die Kirche als Ursakrament die Heilsmittel allein bereit hält, im Protestantismus ist später eher der Konflikt zwischen Erfahrung und gläubiger Orthodoxie, die sich alles von „extra nos“ her sagen lässt. Während im Pietismus z.B. bis heute die Erfahrung höher eingeschätzt wird als das Sakrament, ist da in der Orthodoxie umgekehrt.
Diese Konflikte sind im Islam als Spannung zwischen Sufismus und rechtstheologischer Regulierung von Praktiken ebenso (wiederholbar) zu beobachten wie im Judentum, wo man die Spannung an der zunächst sehr ambivalenten Behandlung des Moses Maimonides bis ins 14. Jahrhundert hinein, ablesen kann. Das Problem verschärft sich, als sich Mystik Anfang des 20. Jahrhunderts vom Monotheismus als Religion löst („gottlose Mystik“, einflussreich: Fritz Mauthner) und neureligiöse Reprisen der Mystik diese noch mehr gegen Institution und Dogma kehren. Dies kommt in der Forderung des Eckhart-Preisträgers Ernst Tugendhat (2007) zum Ausdruck, Mystik aus humanistischen Gründen an die Stelle von Religion zu setzen.

(Dietmar Mieth)

Foto: Mika Matsuda
Schwestern und Brüder in Christus!
Es ist für mich tief bewegend, heute Abend hier in der Predigerkirche von Erfurt über einen zu predigen, der vor rund 700 Jahren hier in dieser Kirche seine Zuhörer mit seiner mitreißenden Sprache begeistert hat. Die Menschen damals lebten in nicht weniger schwierigen Zeiten wie wir heute. Ganz im Gegenteil! Sie waren von Naturkatastrophen heimgesucht; der schwarze Tod, die Pest, ging um. Im Reich war die kaiserlose, rechtlose, schreckliche Zeit. Der Papst befand sich in der babylonischen Gefangenschaft in Avignon. In der Kirche wurden Forderungen nach Reform an Haupt und Gliedern laut. Die Leute suchten nach Orientierung. Die Kirche musste neue Wege gehen.
Bei Meister Eckhart spürten die Leute: Da spricht einer, der nicht nur in Paris und in Köln gelehrte Vorlesungen halten kann; er ist einer, der etwas für das Leben zu sagen hat. Er ist nicht nur ein Lehr- und Lesemeister; er ist ein wahrer Lebemeister. Das wird gleich in der ersten Predigt aus der Sammlung seiner deutschen Predigten deutlich. Sie handelt von der biblischen Geschichte der Tempelreinigung Jesu (Mt 21,12-17; Joh 2,13-22), die wir soeben gehört haben. Von dieser Predigt Eckarts möchte ich heute Abend ausgehen.

I.
Die Evangelien berichten, dass Jesus nach seinem Einzug in Jerusalem in den Tempel ging, dann am anderen Tag zurückkam. Er sah die Händler und Kaufleute, die im Vorhof des Tempels ihre Geschäfte machten. Dieser Betrieb war Jesus zuwider. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb alle die Händler, dazu die Schafe und Rinder aus dem Tempel hinaus; die Tische der Geldwechsler stieß er um und forderte die Taubenhändler auf: Schafft das hier weg! Als man ihn fragte, mit welchem Recht er das tue, zitiert er den Propheten Jeremias: „Mein Haus soll ein Haus des Gebets sein für alle Völker. Ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht“ (Jer 7,11).
Manche meinten schon, Jesus sei ein politischer Revolutionär gewesen und habe im Tempel einen Aufruhr veranlasst. Das passt nicht in das Bild, das die Evangelisten von Jesus zeichnen. In der Bergpredigt hat Jesus die Sanftmütigen, die Gewaltlosen und die Friedenstifter seliggepriesen (Mt 5,4.5.9). Sich selbst hat er als sanftmütig und demütig von Herzen bezeichnet (Mt 11,19). Aber verharmlosen darf die Geschichte trotzdem nicht. Jesus will nicht nur ein paar Missbräuche abstellen, sonst aber alles beim Alten lassen. Sicher, Reformen sind auch die Kirche immer wieder notwendig. Meister Eckhart selbst hat von Hamburg bis Prag viele Klöster visitiert und reformiert.
Aber wie Jesus wusste er: einfach dreinschlagen und auf andere draufschlagen ist zu billig; die Ursachen liegen tiefer. Wie Jesus, so ging es auch Eckhart um das Herz der Menschen. Er wusste, im Herzen haben all die bösen Dinge, die bösen Gedanken, Diebstahl Mord, Habgier, Hinterlist, Verleumdung ihren Ursprung (Mk 7,21 f). Im eigenen Herzen gilt es anzusetzen. „Wir sind die Ursache“, sagt Eckhart. „Hüte dich vor dir selber, so hast du gut gehütet“ (Deutsche Predigten und Traktate, hg. J. Quint, 177). Der der Tempel Gottes, das sind nach Paulus wir selbst (1 Kor 3,17). Die Tempelreinigung muss darum im eigenen Herzen beginnen.

II.
Damit stehen wir bereits beim Grundanliegen von Meister Eckhart. Er geht nicht den Weg äußerer Vorschriften; er geht den Weg nach innen. Bei diesem Weg nach innen, in den inneren Tempel des eigenen Herzens, entdeckt Eckhart das, was er das Seelenfünklein nannte. Dieses Wort ist uns heute nicht geläufig; dahinter steht aber ein biblischer Gedanke. Gleich am Anfang seiner Predigt erklärt es uns Eckhart indem er auf die erste Seite der Bibel verweist, wo gesagt wird, dass Gott den Menschen, und das heißt: jeden Menschen, nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat (Gen 1,26 f). Jeder Mensch ist in seiner Tiefe von Gott berührt; in jedem Menschen hat Gott seine Spur, sein Bild hinterlassen und es wie in einem Tempel aufgestellt. So ist jeder Mensch Gott auf ganz einmalige Weise lieb und wichtig. An einer anderen Stelle sagt Eckhart: So sehr wir auch Gott zugetan sind, wir dürfen gewiss sein, dass er uns ungleich mehr zugetan ist und uns vertraut. Er ist unser Freund (S. 75).
Dass jeder Mensch Bild und Tempel Gottes ist, macht die Größe des Menschen aus, die ihn weit über alle anderen Geschöpfe hinaushebt und ihm einen einmaligen Adel, heute sagen wir, eine einmalige und unantastbare Würde verleiht. Man mag ihn noch so schlecht behandeln, ihn heruntersetzen, demütigen, schänden und misshandeln; vor Gott behält jeder seine Würde, und dies unabhängig von seiner Hautfarbe, seiner Volkszugehörigkeit, Kultur, Sprache, seinem Geschlecht und seiner Religion. Jeder ist Tempel Gottes.
Aber Eckhart ist ein Realist. Er weiß: Dieser innerste heilige Ort im Menschen kann verstellt sein durch allerlei Gerümpel. Geld und Besitz, weltliche Interessen, böse und niedrige Gedanken können sehr in uns so sehr die Oberhand gewinnen, dass für Gott kein Platz mehr ist. Wir können so sehr an uns selber hängen, an uns selbst gebunden und in uns selbst verkrümmt sein, dass Gott – um es mit Nietzsches zu sagen – für uns tot ist, dass er einfach weg und nicht mehr zu existieren scheint. Der Mensch kann unter seiner Würde leben und das Heiligste vergessen, verdrängen, ausschließen. Eckhart fügt freilich hinzu: Wir können Gott zwar hinauswerfen; Gott aber geht nimmer in die Ferne; er wartet dann vor der Tür (S. 78). Wir können Gott vergessen, er vergisst uns nie; er wartet auf uns.
Sie spüren: Das sind keine Gedanken, die nur vor 700 Jahren aktuell waren; sie sind auch heute aktuell, heute vielleicht sogar mehr als damals. Eckhart konfrontiert uns mit dem Uranliegen Jesu: Kehrt um! Denkt um! Macht in eurem Leben Platz für Gott! Mensch werde wesentlich! Leb nicht unter deinen Möglichkeiten! Erkenne deine Würde! Erkenne: Gott wartet auf dich. Bei ihm hast du immer eine Chance. Er ist treu, und er ist barmherzig.

III.
Bei diesem Ruf zur Umkehr und Einkehr geht es Eckhart nicht nur um die groben Sünden. Eckhart ist ein feiner Seelenkenner, ein Psychoanalytiker würden wir heute vielleicht sagen; er durchschaut auch die geheimen Wünsche unserer Seele. Er kennt auch die Versuchungen der frommen Seelen, oder wie er sagt, der guten Leute, die Gott durch gute Werke wie Fasten, Wachen, Beten und Bußübungen aller Art einen Gefallen tun wollen und dafür auf Belohnung rechnen. Diese guten Leute vergleicht Eckhart mit den Kaufleuten im Tempel. Sie wollen mit Gott markten und einen Handel eingehen. Eckhart nennt sie sehr „törichte Leute“, die nichts verstehen; in einer anderen Predigt bezeichnet er sie einfach als Esel (S. 304).
Warum? Eckhart macht klar, dass wir Gott ja gar nichts geben können. Alles was wir sind und was wir haben, das sind und haben wir von ihm. Umgekehrt ist Gott uns nichts schuldig, es sei denn er will es freiwillig aus Gnaden. Darum sagt Eckhart: Wenn Gott in die Seele kommt, dann vertreibt er die Kaufleute, dann ist es aus mit dem frommen Kauf- und Kuhhandel. „Gott sucht das Seine nicht; in allen seinen Werken ist er ledig und frei und wirkt sie aus echter Liebe.“ Und wenn der Menschen mit Gott, der frei und ledig ist, vereint ist, dann ist auch er ledig und frei in allen seinen Werken und wirkt sie allein Gott zu Ehren und Gott wirkt es in ihm. Allein wenn wir den frommen Kaufmannsgeist aufgeben, ist Gott ganz in uns, und wir sind ledig und frei. Der freie Gott will den freien Menschen. Gott befreit den Menschen, auch von der Anhänglichkeit an sich selbst.
Wer wollte bei solchen Aussagen nicht an Martin Luther und seine Kritik an den guten Werken denken, durch die wir meinen uns den Himmel verdienen zu können, an Luthers Botschaft, dass wir nicht aufgrund der Werke sondern allein aus Gnade selig werden. Luther hat die Schriften von Meister Eckhart wohl nicht gelesen, aber er kannte Eckarts Ideen durch ein Buch eines Frankfurter Deutschordensherrn „Theologie deutsch“. Auch die Schriften eines anderen Mystikers in der Tradition Eckharts, Johannes Tauler, hat der junge Luther gelesen und herausgegeben.
Die mystische Tradition ist also nicht nur katholisch; sie hat auch den jungen Luther wie das spätere Luthertum, den Pietismus bis hin zum Vater der modernen lutherischen Theologie, Friedrich Schleiermacher, geprägt. Heute haben wir allen Grund diese gemeinsame Tradition, die bis in die Bibel und bis zu den Kirchenvätern zurückgeht, wieder zu entdecken und sie gemeinsam zu bezeugen. Wir können es uns heute nicht leisten gegeneinander oder auch nur nebeneinander zu stehen: Gemeinsam müssen wir vor einer Welt, die meint ohne Gott auszukommen, von dem Gott Zeugnis geben, der sich auf keinen Kuhhandel einlässt, der unseren inneren Tempel reinigt und uns frei macht, frei auch von den Bindungen an uns selbst.

IV.
Die Tempelreinigung ist freilich nur das eine, das Platzmachen für Gott das andere. Eckhart sieht den Menschen nicht nur am Anfang seiner Existenz radikal von Gott her; wir Menschen sind in jedem Augenblick unserer Existenz von Gott gehalten, oder – wie Eckhart sagt – aus Gott geboren. Wie Jesus Christus vor aller Zeit und in jedem Augenblick seiner Existenz ganz aus Gott seinem Vater ist, so verhält es sich in jedem Menschen. Wie Jesus alles, was er ist in jedem Augenblick aus dem Vater empfängt, so auch die Seele. Aus sich selbst ist sie nichts, alles ist sie aus Gott.
Diese Gottesgeburt in der Seele ist Eckharts zentrales Thema, das er immer wieder umkreist. Uns Heutigen scheint dieser Gedanke fremd und sehr weit weg zu sein. Doch Eckhart hat ihn nicht erst erfunden. Er hat ihn bei den Kirchenvätern, besonders bei Origenes gefunden. Damit will Eckhart die Heilsgeschichte, die Menschwerdung Gottes vor 2000 Jahren in den Menschen in uns hereinholen; er will sagen: sie geschieht heute aktuell in uns. Das ist eine Aussage, die damals wie heute Missverständnisse ausgelöst hat, so als wolle Eckhart Gott und Menschen vermischen und vermengen. In der Predigt zur Tempelreinigung hat Eckhart hat offenbar selbst gespürt, dass er das noch etwas klären muss. So unterscheidet er klar zwischen den Geschöpfen und dem unerschaffenen Gott. Er will die Freiheit beider wahren. Aber er will auch sagen: Gott ist keine starre statische Wirklichkeit, die fern von uns irgendwo über den Wolken existiert; er ist eine dynamische Wirklichkeit. Er wirkt in jedem Menschen. Gott ist wie eine sprudelnde heiße Quelle, die gleichsam überkocht und sich verströmt. Gott ist Liebe (1 Joh 4,8.16).
Was uns Eckhart damit sagen will, hat 200 Jahre später der schlesische Dichter Angelus Silesius formuliert: „Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, und nicht in dir: Du bliebest doch in alle Ewigkeit verloren.“ Dieses Wort findet sich fast wörtlich auch bei Eckhart (H. Rahner, S. 29), und es findet sich bis heute in vielen katholischen wie evangelischen Weihnachtspredigten. Gott schenkt uns nicht etwas, er schenkt sich uns selbst gibt und wird unser ein und alles. Darum kann man an ihm nie genug haben; hätten wir genug, so wäre es nicht Gott, an dem wir genug haben (S. 353 f). Mit Gott sind wir nie fertig; er ist nie der alte Gott von gestern und vorgestern; er ist ewig jung (S. 352).
Weil Gott, wenn der innere Tempel gereinigt ist, in uns ist und wirkt, sind wir nicht nur Tempel Gottes, der Himmel selbst ist in uns. Eckhart bemüht sich in seiner Predigt, den ganzen Reichtum und die Schönheit des Glaubens, die wir heute wieder entdecken müssen, darzulegen. Hören wir ihn: „Jesus offenbart sich mit unermesslicher Süßigkeit und Fülle, die herausquillt aus des Heiligen Geistes Kraft und überquillt und einströmt mit überfließend reicher Fülle und Süßigkeit in alle empfänglichen Herzen.“ Ja, die Seele selber fließt dann über sich und über alle Dinge hinaus zurück in ihren ersten Ursprung. Dann lebt der Mensch im steten Frieden und innerer Trost erfüllt ihn. Früher hätte man das Gottseligkeit genannt. Das klingt für uns heute altbacken und süßlich. Sagen wir darum einfach: Christsein schenkt uns inneren Frieden; Christsein ist schön.

V.
Aber nun aufgepasst! Wir wären auf der völlig falschen Spur, würden wir meinen, Eckhart würde in der Gottseligkeit geradezu schwelgen, er wäre gleichsam trunken von Gottes Gegenwart. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil, er tut alles um seinen Zuhörern solchen frommen Gefühlsdusel auszureden. Er spricht vom Abgrund und von der Wüste der Gottheit. Er sagt, man müsse sich von allen Vorstellungen von Gott frei machen. Gott ist für unsere Vorstellung geradezu ein Nichts. Er erinnert er an die Bergpredigt „Selig sind die arm sind im Geist“ (Mt 5,3). Das ist bei Eckhart kein Lob der Dummheit, sondern ein Lob der Demut, die nichts von sich hält und die weiß, dass sie vor Gott nichts ist und von Gott letztlich nichts weiß. Die Seele wird – sagt Eckhart – wenn sie in die das unvermischte Licht Gottes kommt, zunichte, sie hat nichts, will nichts und weiß nichts; sie ist ein Nichts. Nur wenn sie sich ganz zur Stätte von Gottes Wirken macht, wird sie durch Gott ein etwas. Durch Gott und in Gott kehrt sie in ihren ersten Ursprung zurück.
Das sind schwierige Gedanken; es sind aber biblische Gedanken. Auch in der Bibel lesen wir: Durch das Absterben des alten Menschen werden wir eine neue Schöpfung, welche die alte Schöpfung zur Vollendung bringt. Die Vollendung geht durch das Loslassen aller Dinge und seiner selbst, sie geht durch ein Sterben hindurch. Diese Gelassenheit, wie Eckhart es nennt, ist für ihn die wichtigste Grundhaltung des Christen. Gelassenheit ist die wahre Freiheit, die Gott in allen Dingen, in Freud und Leid erkennt und annimmt. Sie ist frei von der endenden Hektik, von der ständigen Lebensangst, von der Friedlosigkeit und von der Traurigkeit der Welt (2 Kor 7,10); sie schenkt inneren Frieden und innere Freude. Und was bräuchten wir heute mehr als dies!?
Aber wiederum ist Eckhart Realist. Er spricht nicht nur von der inneren Armut; er kennt auch die äußere Armut sehr vieler Menschen. In einer Predigt legt er die bekannte Geschichte der beiden mit Jesus befreundeten Schwestern Maria und Martha aus (Lk 10,38-42) (280 ff). Dort beklagt sich Martha über ihre Schwester Maria, die Jesus zu Füßen sitzt und ihm zuhört, während sie den Haushalt machen und die Gäste bedienen muss.
Jesus antwortet: „Martha, Martha, du machst dir Sorgen und Mühen um viele Dinge. Nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt.“ Diese Antwort haben die frommen Schwestern von damals gerne gehört; viele Lehrer des christlichen Lebens haben ihnen beigebracht, dass ihr kontemplatives klösterliches Leben höher stehe sei als das der Weltchristen, die sich um die tägliche Arbeit kümmern müssen. Eckhart nimmt eine deutliche Kurskorrektur vor. Er nimmt seinen frommen Zuhörerinnen ihre allzu fromme Brille von der Nase, öffnet ihnen die Augen und sagt, man dürfe Maria und Martha nicht gegeneinander ausspielen. Sie ergänzen einander und gehören zusammen. Die Klosterfrauen dürfen sich nichts auf ihr kontemplatives Leben im Kloster einbilden und sich nicht über die sogenannten Weltchristen erhaben fühlen. Auch das ist Tempelreinigung. Eckhart hat damit eine neue Welt- und Laienfrömmigkeit begründet. Er sagt: „Wäre der Mensch in noch so großer Verzückung und wüsste er einen kranken Menschen, der eines Süpplein von ihm bedürfte, ich erachtete es für weit besser, du ließest aus Liebe von der Verzückung ab und dientest dem Bedürftigen in größerer Liebe“ (S. 67).
Das ist Originalton Jesu! Der Evangelist Matthäus berichtet, wie nach der Tempelreinigung Kranke, Lahme und Blinde zu Jesus in den Tempel kamen und wie er sie heilte (Mt 21,14). Jesu Tempelreinigung geschieht nicht mit Gewalt; sie geschieht durch heilende Güte. „Barmherzigkeit will ich nicht Opfer“, so zitiert Jesus den Propheten Hosea (Mt 9,13; 12,7; vgl. Hos 6,6). Barmherzigkeit, misericordia, heißt: ein Herz (cor) für die die Armen (miseri) haben, denen es mies geht. Das ist nicht Rückzug aus der Welt sondern Ruf in die Welt. Hinausgehen aus sich ist die wahre Freiheit. Fromme Selbstbezogenheit dagegen macht krank, psychotisch und autistisch. Die Liebe dagegen ist edel, weil sie allumfassend ist“ (S.170).

VI.
Eckhart stellt unser Christsein vom Kopf auf die Füße. Ihm geht es nicht um den gedachten Gott sondern um den wesenhaften Gott, den wir in allen Dingen finden (S. 60 u.a.). Damit hat Eckhart eine Laienfrömmigkeit für das damals neu heraufziehende bürgerliche Zeitalter grundgelegt. Er hat den Laien etwas zugetraut. Das war damals neu und nicht ungefährlich. Eckhart hat das gegen Ende seines Lebens Konflikte mit der kirchlichen Autorität eingetragen. Der damalige Erzbischof von Köln, Heinrich II. von Virneburg, war besorgt und sah Gefahr im Verzug, Eckhart könne mit seinen Predigten vor dem ungebildeten Volk Verwirrung stiften. So hat er schließlich durchgesetzt dass nicht Eckhart als Person, dass aber eine Reihe seiner Thesen verurteilt wurden.
Gewiss, wenn man diese Thesen aus dem Zusammenhang reißt, klingen sie missverständlich und provozierend. Isoliert betrachtet können manche geradezu atheistisch interpretiert werden. Dass Eckhart sie so nicht gemeint hat, ist offensichtlich. Er will nicht von Jesus Christus weg, er will neu zu ihm hinführen. Er will wie zuvor Franziskus und sein Ordensvater Dominikus zum Ursprung, zu Jesus Christus zurück. Er will etwas sagen, was allen ernsthaften Christen gemeinsam ist und will so Brücken bauen zu allen Menschen guten Willens.
Eckhart lädt uns zum Dialog auch mit Nichtchristen ein. Er selbst hat wie sein Meister Thomas von Aquin viel von damaligen islamischen arabischen Denkern gelernt; heute wird er von vielen Buddhisten hochgeschätzt. Natürlich kann man die verschiedenen Religionen nicht zu einem Cocktail zusammenmixen, sozusagen aus ein bisschen Bergpredigt und ein bisschen Zen-Buddhismus und daraus einen multireligiösen Eckhart zusammenbrauen. Wir können die Gräben nicht zuschütten, aber wir können Brücken über die Gräben bauen, auf denen wir uns von beiden Seiten begegnen und miteinander ins Gespräch kommen können. Dieses Gespräch ist heutzutage dringend notwendig.
Ich will zum Schluss kommen. Eckhart wollte damals und er kann uns auch heute zu einem radikalen, an die Wurzel gehenden Christsein anleiten. Das geht nicht ohne Tempelreinigung. Sie fängt bei jedem Einzelnen selber an. Sie muss dann auch aus alten Verengungen und Verkrustungen ausbrechen und so zu einem im ursprünglichen Sinn des Wortes katholischen, d.h. allumfassenden Christsein führen. Solches Christsein nimmt dem Menschen nichts; es gibt ihm vielmehr Adel und Würde, es macht frei und ist schön. Es drängt zum Tun und schenkt in allen Lebenslagen innere Ruhe, Friede und Freude. Mit Worten zu Friede und Freude schließt Eckharts Predigt zur Tempelreinigung. Damit schließe auch ich. Denn Friede und tut uns heute besonders not. Die Freude an Gott ist unsere Stärke (Neh 8,10). Die gebe uns Gott. Amen.