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Internationale Jahrestagung in Erfurt 2011

"Meister Eckharts Reden für die Stadt"

Die Erfurter Reden in ihrem Kontext

Interdisziplinäre Tagung der Kollegforschergruppe “Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive” des Max Weber Kollegs, Erfurt, in Verbindung mit der Meister-Eckhart-Gesellschaft.
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
Die Publikation der Tagung wird in den Jahrbüchern der Meister Eckhart Gesellschaft, im Kohlhammer Verlag, Stuttgart, erfolgen (Bd. 7).
74 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus europäischen Ländern und aus Japan waren anwesend sowie zusätzlich etwa 20 Teilnehmer an der Abendveranstaltung am 15. April im Rathaus der Stadt Erfurt.

Zeit: Freitag, 15. April bis Sonntag, 17. April
Ort: Augustinerkloster Erfurt .

Eckharts Reden (rede der underscheidunge), die er, laut Titel, als Prior des Erfurter Dominikanerklosters zwischen 1294 und 1298 aus der Praxis der abendlichen Tischgespräche mit den Novizen und jungen Brüdern zusammenstellte, sind der älteste datierbare volkssprachliche Text aus der Feder des Meisters. Zugleich sind sie sein erstes Werk, das außerhalb der Universität für ein klösterliches Publikum zur spirituellen Unterweisung verfasst wurde. Die Reden sind Eckharts am weitesten verbreitetes Werk, das mit ausdrücklicher Zuweisung an seine Person in den klösterlichen und stadtbürgerlichen Bibliotheken des Spätmittelalters vollständig oder in Auszügen vorhanden war. Diese intensive Rezeption, die auch die Grenzen des deutschen Sprachgebiets überschritt, hängt sicher auch damit zusammen, dass die Reden nie von der Inquisition beanstandet wurden. Ihre lehrhaft-einfache Präsentation sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Eckharts theologisch-philosophische Lehre in nucleo bereits vollständig enthalten ist. Sämtliche Themen der Reden finden in seinen Predigten und Traktaten lediglich ihre Ausfaltung und Vertiefung.
Perspektiven, aus denen sich dieser Text betrachten lässt:
- historisch: wie sind Eckharts Reden in der Spiritualität seines Ordens verankert? In welcher Beziehung stehen sie zu Bildung und Spiritualität sowie zur politischen Situation der mittelalterlichen Stadt?
- literaturwissenschaftlich: Eckharts volkssprachliche Terminologie ist erstmals in den Reden greifbar. Wie entfaltet sie sich in den deutschen Predigten? Wie lassen sich die Reden im Kontext des literarischen Genus “Lehrgespräche” (Collationes) beschreiben? Die Reden sind in zwei Fassungen überliefert. Wie verhalten sie sich zueinander?
- rezeptionsgeschichtlich: welche Verbreitung fanden Eckharts Reden? Wie werden sie im Traktat Van den XII dogheden des Godfried van Wevel, einem Schüler Ruusbroecs, verarbeitet?
- theologisch-philosophisch: welche Grundaxiome Eckhartscher Theologie und Philosophie finden sich in den Reden und wie werden sie weiter entfaltet? In welcher Beziehung stehen die Reden zur bisherigen lateinischen Produktion Eckharts?

Publikationen zum Thema in: A. Speer und L. Wegener (Hg.), Meister Eckhart in Erfurt (Miscellanea Mediaevalia 32), Berlin, New York 2005; Yoshiki Koda, Mystische Lebenslehre zwischen Kloster und Stadt. Meister Eckharts ‹Reden der Unterweisumg› und die spätmittelalterliche Lebenswirklichkeit, in: E. C. Lutz (Hg.), Mittelalterliche Literatur im Lebenszusammenhang, Freiburg/Schweiz 1997, S. 225-264.

Wissenschaftliche Organisation:
Prof. Dr. Dietmar Mieth, Max Weber Kolleg, Erfurt
Prof. Dr. Dagmar Gottschall, Università del Salento (Italien)
Prof. Dr. Yoshiki Koda, Keio Universität (Tokyo/Japan)

Freitag, 15. April 2011

13.00 Dietmar Mieth (Fellow am Max-Weber-Kolleg, Präsident der MEG): Begrüßung

Sektion I - Moderation: Hans-Jochen Schiewer

13.15 Klaus-Bernward Springer: Meister Eckhart als Vikar von Thüringen und Prior von Erfurt: Der ordenshistorische Kontext dominikanischen Engagements in thüringischen Städten (Bericht)

Historischer Ansatz: Reden für Konvent und Stadt – Adressatenkreis und Wirkintention der Erfurter Reden im Alltag der mittelalterlichen Stadt

13.45 Yoshiki Koda: «unseren herren gelüstet, daz er in dem und mit dem menschen wone». Reflexionen über die Reden der Unterscheidung Meister Eckharts und die Stadtgeschichte von Erfurt (Bericht)

14.15 Lydia Wegener: «Wie der mensche sîniu werk sol würken» – Meister Eckharts Rede der underscheidunge als Anleitung zum Heilserwerb im Lebensraum Stadt (Bericht)

14.45 Diskussion

15.15 Pause

Sektion II - Moderation: Rudolf Weigand

15.45 Cornelia Boss-Pfister: «Dû solt merken». Anweisungen in Meister Eckharts Reden der Unterweisung (Bericht)

16.15 Jörg Füllgrabe: Meister Eckharts Rede der underscheidunge – Reflex oder Impuls ‘urbaner Frömmigkeit’ im 13. und 14. Jahrhundert?

16.45 Diskussion

18.00 Freimut Löser: Meister Eckhart, die Reden und die Predigt in Erfurt (Öffentlicher Vortrag im Rathaussaaal; Bericht)

19.00 Empfang durch den Oberbürgermeister der Stadt Erfurt, Andreas Bausewein


Samstag, 16. April 2011

Sektion III - Moderation: Dagmar Gottschall

Rezeptionsgeschichtlicher Ansatz: Zum Weiterwirken der Erfurter Reden Meister Eckharts

9.00 Wybren Scheepsma: Das mittelniederländische Nachleben der Erfurter Reden Meister Eckharts (Bericht)

9.30 Regina D. Schiewer: Gelassenheit für jedermann. Die Erfurter Reden und Spamers Mosaiktraktate (Bericht)

10.00 Diskussion

Sektion IV - Moderation: Loris Sturlese

Philosophie, Theologie, Mystagogie – Zur geistesgeschichtlichen Einordnung von Eckharts Erfurter Reden, I

11.00 Alessandra Beccarisi: «Wie der grunt der werke sî». Die metaphysische Begründung der Ethik in den Reden Meister Eckharts (Bericht)

11.30 Franz-Josef Schweitzer: Ein "Quellgebiet" bei und vor Meister Eckhart im Spiegel von Heimerichs "Millelogicon" (1450) (Bericht)

12.00 Diskussion

12.30 Mittagessen

13.30 Stadtführung

Sektion V - Moderation: Christine Büchner

16.00 Mika Matsuda: Gehôrsame. Die Erfurter Reden Meister Eckharts in der Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin (Bericht)

16.30 Martina Roesner: Das Motiv der transzendentalen Topologie in den Reden der Unterweisung vor dem Hintergrund von Meister Eckharts lateinischen Schriften (Bericht)

17.00 Udo Kern: «die neigunge ze den sünden dem menschen vrument ze allen zîten» (RdU, DW V, 212, 9f.). Zur Ambivalenz des Eckhartschen Sündenverständnisses (Bericht)

17.30 Diskussion

18.30 Abendessen

19.30 Mitgliederversammlung der Meister-Eckhart-Gesellschaft


Sonntag, 17. April 2011

Sektion VI - Moderation: Gotthard Fuchs

Theologisch-philosophischer Ansatz: Philosophie, Theologie, Mystagogie – Zur geistesgeschichtlichen Einordnung von Eckharts Erfurter Reden, II

9.30 Markus Enders: Grundmotive der Mystagogie und Elemente der Gotteslehre Meister Eckharts in den Reden (Bericht)

10.00 Saeed Zarrabi-Zadeh: Eckhart’s Mysticism of Intellectual Detachment (Bericht)

10.30 Christian Fröhling: «Wer aber Gott recht in der Wahrheit hat, der hat ihn an allen Stätten» – Die Konstruktion des Ortes in den rede der underscheidunge (Bericht)

11.00 Diskussion

11.30 Pause / Ausklang

12.00 Dietmar Mieth: «Die Meister sagen – die Leute fragen». Der doppelte Anspruch an Meister Eckhart den Prediger (Bericht)

PD Dr. Klaus-Bernward Springer, Theologische Fakultät der Universität Erfurt:
Meister Eckhart als Vikar von Thüringen und Prior von Erfurt: Der ordenshistorische Kontext dominikanischen Engagements in thüringischen Städten

Die Dominikaner-Klöster in Thüringen befanden sich zumeist noch in der Gründungs- und Konsolidierungsphase. Eckhart könnte u.a. ein von seinen Mitbrüdern geschätzter Verwaltungsfachmann und Organisator gewesen sein. Sein älterer Bruder Dietrich von Freiberg, damals Provinzial der Teutonia, war 1286 Gründer des Jenaer Klosters. Für Eckharts Fähigkeiten sprechen auch die späteren Wahlen in das Amt eines Provinzials (Saxonia 1303; Teutonia 1310). Die berühmten und besonders breit überlieferten Erfurt „Reden“ zeigen durch den Spiegel der städtischen spirituellen Aufgaben der Dominikaner intern die in das Predigergespräch hineingetragenen externen Fragen auf. Eckharts Erfurter Mitbruder Dietrich von Apolda beschäftigte sich mit Mechthild von Magdeburg, Elisabeth von Thüringen und Gertrud von Helfta. Es war also auch üblich, solche Vorbilder und besondere spirituelle Texte von Frauen zu vermitteln.

Professor Dr. Yoshiki Koda, Universität Tokyo:
unseren herren gelüstet, daz er in dem und mit dem menschen wone. Reflexionen über die Reden der Unterscheidung Meister Eckharts und die Stadtgeschichte von Erfurt

Die rede der underscheidunge sind collationes, die der Erfurter Prior mit den jungen Brüdern abendlich gehalten hat. Es handelt sich um verschiedene monastische Themen wie den Gehorsam, die Buße, das Abendmahl und das Almosen, bei denen jedoch wenige Indizien für rein innerklösterliche Angelegenheiten zu finden sind. In jedem Kapitel fordert Eckhart, sich selbst zu verlassen und sozial wach zu bleiben, um Gott in allen weltlichen Dingen zu fassen. Diese pragmatischen Züge des Traktates hängen mit der geschichtlichen Situation des Erfurter Dominikanerordens zusammen, der sich von Anfang an fest mit der seelsorgerischen Betreuung des Bürgertums verbunden hat.
Die „Reden“ sind zudem in einer Zeit des sozialen Umbruchs entstanden. Es finden sich zahlreiche Reflexe der stadtgeschichtlichen Faktoren, z.B. dass die Erfurter Dominikaner unter den mächtigen Ratsherren und den Zünften Unterstützer gefunden haben, hat die Eigenartigkeit ihrer Armutsgedanken bestimmt.
Als Prior in der größten Stadt Mitteldeutschlands muss Eckhart mit der Beginenfrage konfrontiert worden sein. Seine cura monialium hat in der Episode des Traktates, wo es um den jubilus geht, den Nikolaus von Bibra in seinem Occultus Erfordensis für die von ihm als „zahlreich“ bezeugten Beginen erwähnt, Spuren hinterlassen.
In der Eucharistielehre, angesichts von Interdikten sowohl eine praktische Frage als auch einer der schwierigsten Streitpunkte der mittelalterlichen Theologie, unterscheidet Eckhart zwischen manducatio spiritualis und sacramentalis.
Die stadtbezogene Analyse zeigt, dass die unglichiu, boesiu gesellschaft, die sonst für das religiöse Leben als Hindernis thematisiert wird, z.B. in der Armutsfrage für die Eckhartsche Mystik eine entscheidende konstruktive Bedeutung besessen hat.

Dr. Lydia Wegener, Universität Köln:
Wie der mensche sîniu werke so würken. Meister Eckhart rede der unterscheidunge als Anleitung zum Heilserwerb im Lebensraum Stadt

Es bietet sich an, die Reden als Auseinandersetzung Eckharts mit den traditionellen Ordensgelübden zu lesen. Aber der Text geht darüber hinaus und thematisiert die Sorge um das eigene Seelenheil auch für Menschen, die nicht ins Kloster gehören. Eckhart betont immer wieder die Vielfalt der Lebensweisen, die dem Menschen zur Gestaltung seines Daseins zur Verfügung stehen. Damit treten das breite Spektrum der städtischen Bevölkerung und ihr Anspruch auf pastorale Betreuung in den Vordergrund. Individualität der gewählten Lebensform und allgemeines Bedürfnis nach Heilssicherung sind anzugleichen.
Drei Aspekte werden hervorgehoben:

  1. Der Begriff des „Werkes“. Eckhart lehnt zwar eine „Werkgerechtigkeit“ ab, verhandelt aber darüber, wie der Mensch aus Eigenem heraus zum Miteinander mit göttlichem Wirken kommt und wie die Verpflichtungen im städtisch-säkularen Bereich mit einer Ausrichtung auf Gott vereinbar sind.
  2. Die Konkurrenzsituation der Predigt. Eckhart tritt mit alternativen Konzepten der Heilssicherung in Diskussion. Sein Lebensmodell versöhnt Alltagsleben und religiöses Leben und sichert dem Menschen eine Heilskompetenz zu, ohne seine Abhängigkeit von Gott zu negieren.
  3. Dazu gehört auch in einer späteren Predigt der für Eckhart spezifische Gedanke eines Verdienstes, das auch aus dem gnadenlosen Sünderstand wieder erstehen kann, sobald die Umkehr erfolgt.

Dr. Cornelia Boss-Pfister:
Dû solt merken. Anweisungen in Meister Eckharts Reden der Unterweisung

Eckhart hält sich an die Regeln der Textsorte Unterweisung, aber die Umsetzung der Anweisung in den konkreten Ordensalltag enthält Sprengkraft. Einerseits wird beispielsweise der Gehorsam hoch gelobt, andererseits schärft Eckhart ein, dass man sich daran halten solle, wozu man von Gott besonders dringend gemahnt werde. Die Selbstwahrnehmung steht im Vordergrund, und sie wird weder von außen her genormt noch in der Wegrichtung festgelegt.
Die sprachliche Form der Aufforderung „du sollst“ im Sinne eines Imperativs gibt als Überprüfung nicht eine Methode der schrittweisen Lebensentwicklung vor, sondern sie nennt Richtlinien oder Prüfinstanzen, die für jede Umsetzung gelten sollen. Nicht die „Weise“ soll zwingend sein, sondern das Kriterium, mit dem jede „Weise“ zu überprüfen ist.
Damit wird der Hörer jeder nachhaltigen Stütze durch von außen kommende Anweisungen über die Einübung des Richtigen beraubt. Er muss sich mit einer Anweisung auseinandersetzen, die zwischen Gott und dem „Ich“ bzw. im Selbst stattfindet. Diese Aufmerksamkeit darauf ist dann der eigentliche „Gehorsam“.

Professor Dr. Freimut Löser, Universität Augsburg:
Meister Eckhart, die Reden und die Predigt in Erfurt

An überzeugenden Beispielen wurde vorgeführt, wie Eckhart in seinen Predigten die Themen der Reden fortführt und weiter entwickelt. Dabei gelingt es dem Referenten, mit vielfältigen Belegen eine Predigt für die gleiche Erfurter Zeit (1294-1298) aus dem inhaltlichen Vergleich mit den Reden zu erschließen. Dazu hilft auch ein Wort aus den Reden, das auf einen solchen zweite Ausführung des Gedankens, die vorher als Predigt gehalten wurde, verweist: als ich mêr gesprochen hân (RdU Kap. 6, DW V, 203,1-12).
Die gemeinsamen Themen sind:

  • das freie, geordnete und sichere Gewissen (consciencie),
  • die rechte Reue (riuwe), die nicht sinnlich-emotional, sondern willentlich ausgerichtet ist und die über das Bereuen von Handlungen in einen anderen Zustand führt,
  • die Umkehr aus dem Bedürfnis, durch die falsche Vorzugsordnung irdischer Güter in Sünde zu fallen,
  • die gleichbleibende Gemütsverfassung,
  • die von der an sich richtigen Vorzugsordnung von „Stätten“ (z.B. des Gebetes in der Kirche) nicht dominierte „Wirkeinheit“ mit Gott in allen Tätigkeiten und an allen Orten.
Insbesondere das Generalmotiv von der Selbstwahrnehmung und vom Ablassen von sich selbst findet sich in der für Erfurt nachgewiesenen Predigt ebenso wie in den Reden:
Aus der Predigt. Wie komestu aber hiezuo? Das tustu da mit, daz du din selbes war nymmest, wo du dich vibndest, das du dich och da lassest und le dich selben dik uberwinden in vil dingen.
Dazu RdU, Kap 6, DW V, 196,3-4: Nim dîn selbes war, und swâ dû dich vindest, dâ lâz dich: daz ist daz aller beste.
Auch das Verhältnis von inneren und äußeren Werken wird gleich bestimmt: die äußere Übung ist notwendig, aber nicht hinreichend. Der Gehorsam gegenüber dem innerlich freien Menschen bringt erst die wahre Empfänglichkeit für Gottes Einwirkung mit sich.
Auch die Analyse späterer Predigten zeigt: Der Prior Eckhart der Reden bleibt hinter dem späteren „Meister“ Eckhart nicht zurück, sondern setzt sich in ihm fort.

Dr. Wybren Scheepsma, Leiden:
Das mittelniederländische Nachleben der Erfurter Reden Meister Eckharts

In den Niederlanden stand Meister Eckhart im 14. Jahrhundert in keinem guten Ruf. Er wurde von manchem Kirchenreformer kritisiert, so wie Jan van Ruusbroec und Geert Grote. Eckharts Erfurter Reden aber wurden in den Kreisen dieser Reformer überaus häufig gelesen und rezipiert. Es gibt eine mittelniederländische Übersetzung aus dem 14. Jahrhundert, von der noch zwei vollständige Handschriften erhalten sind. Noch weiter verbreit war aber das Traktat Von den XII Tugenden des Godfried van Wevel, einem Mitbruder Ruusbroecs, das im Rahmen der Gründung des Klosters Eemstein bei Dordrecht in Holland entstanden ist. Geert Grote selbst war an dieser Neugründung beteiligt. Er übersetzte Godfrieds Traktat von den XII Tugenden auch ins Lateinische. Über das Traktat vermittelt haben niederländische Kirchenreformer, die sich kritisch zu Eckhart geäußert haben, trotzdem seine Reden gelesen, verarbeitet und teilweise übersetzt. Der Referent lieferte eine historische Deutung dieses scheinbaren Widerspruches. Dabei erwies sich manche Übung des Abstandes zu Meister Eckhart als nicht besonders wirksam. Eher verbarg man Eckhartsche Gedanken unter anderen Titeln („Von den zwölf Tugenden“) und erhielt sie damit bis in die Devotio moderna und darüber hinaus als zugänglich.

Dr. Regina D. Schiewer, Universität Freiburg:
Gelassenheit für Jedermann. Die Erfurter Reden und Spamers Mosaiktraktate

Spamers Mosaiktraktate, überliefert in zwei Handschriften des 14. Jahrhunderts, wurden nach dem jungen Adolf Spamer benannt, der am Anfang des 20. Jahrhunderts die erste und bislang einzige Monographie über diese bedeutende Sammlung von ca. 124 Traktaten, Predigten, Quaestiones und Dicta schrieb. In seiner Untersuchung konnte Spamer Hunderte von Parallelen zu einzelnen Teilen und Sätzen der Traktate in einer Reihe geistlicher Texte aus dem 13. und 14. Jahrhundert nachweisen, angefangen von den St. Georgener Predigten bis hin zu Johannes von Sterngassen und Johannes Tauler. Besondere Bedeutung aber hat die Sammlung für die Eckhart-Philologie, weil sie einige komplette Predigten Eckharts und viele Teilstücke aus Eckhart zugeschriebenen Predigten, Traktaten und Sprüchen mit entschärfenden Einschüben enthält, so dass sie als einer der wichtigsten Zeugen der frühen Eckhartüberlieferung und -rezeption im 14. Jahrhundert anzusehen ist. Die Wirkung solcher Textstücke geht über den Tauerdruck bis hin zu Martin Luther
Dr. Schiewer analysierte das Konzept der gelâzenheit in Spamers Mosaiktraktaten und untersuchte, auf welche Weise sich der Kompilator der Traktate mit Eckharts Texten auseinandersetze. Dadurch wurde deutlich, dass der Kompilator - trotz der Zusammensetzung der Traktate aus vielen kleinen Zitaten und Entnahmen aus anderen Texten - ein eigenes inhaltliches Konzept verfolgte. Sein Ziel war eine Komplexitäts-Reduktion. Aus Eckharts Gelassenheit als radikale Selbstaufgabe wurde ein Zustand der Stilllegung von Antrieben.

Professor Dr. Alexandra Beccarisi, Universität Salento, Lecce:
Wie der grund der werke sî. Die metaphysische Begründung der Ethik in den Reden Meister Eckharts

Dass man Eckharts Reden auch als philosophische Traktate lesen kann, zeigte Beccarisi an drei Beispielen:

  1. Die Lehre vom Gehorsam unterscheidet sich von der thomanischen Lehre, etwa in Sth 2-2-, q104 a 1; sie ist ein Konzept der Selbstprüfung auf die eigene Authentizität.
  2. Die Lehre von der wahren Armut insistiert nicht nur auf der Bedürfnislosigkeit und Zurückgezogenheit – dazu wird die Diogenes-Legende zitiert – , sondern auf der Unabhängigkeit.
  3. Bei der Demut geht es um die Tiefe, die zugleich Höhe ist: das Empfangen des Wirkens setzt sich im Weiterwirken fort. Es geht um eine Ethik der fraglosen Wirkeinheit.
Immer wieder ist von der Wahrheit die Rede: wahrer Gehorsam, wahre Vernunft, wahre Abgeschiedenheit, wahre Reue, wahrer Mensch. Wahrheit und Authentizität gehören hier zusammen. Daher beruht die „Heiligkeit“ in den Reden auf einem Sein auf dem Grunde der Werke, auf ihrem Woraus und nicht auf ihrem Woraufhin.

Professor Dr. Franz-Josef Schweitzer, Düsseldorf:
Ein „Quellgebiet“ bei und vor Meister Eckhart im Spiegel von Heimerichs „Millelogicon“ (1450)

Der Willensbegriff, den Meister Eckhart in den Erfurter „Reden der Unterweisung“ entwirft, auch seine Unterscheidung von „zweierlei Reue“, lässt sich ohne Schwierigkeiten als „guter Wille“ bis zum niederländischen Dialog „Eckhart und der Laie“ (Rijnsburg, um 1340) verfolgen. Tendenziös, weil auch innerhalb einer tendenziösen Gattung (quastio disputata), verliert dieser Begriff hier seine Universalität und stellt die Gruppe der „Gutwilligen Laien“ antihierarchisch gegen paepscap ende abijten (Pfarr – und Ordensklerus).
Viel schwieriger ist es, einen umgekehrten Weg zu gehen: Aufgrund einer in der Brüsseler Handschrift als Tractatus quidam ..., und im Inhaltsverzeichnis als Millelogicon, bezeichneten Schrift des Heymericus de Campo (1450) liegt seit 1894 ein inquisitorisches Register von 33 Sentenzen vor, dessen Zahl über die 29 Sentenzen Eckharts (1329) noch hinausgeht. Zugrunde gelegen haben den 33 Sentenzen zwei, im Gegensatz zu Eckharts Schriften, verschollene Bücher, die wohl um 1450 bei einem Reklusen circa Renum gefunden wurden.
Die 33 Sentenzen, die anscheinend seit 1894 immer wieder einmal durchgesehen wurden, ohne dass sich bisher ein wirkliches Verständnis geregt hätte, lassen sich, wie z.B. die Lehre von den „guten Werken“ im Zustand der Todsünde, direkt in Eckharts (späteren) Predigten nachweisen und von daher als zum Teil nicht häretisch begründen. Andere Sentenzen aber, wie z.B. in der Kategorie De beatitudine der Satz: „Die Insassen der Hölle sind genauso selig wie die des Himmels“, führen NICHT zu Meister Eckhart, sondern zur „Schule“ Meister Dietrichs, wobei es sich bei „Schule“ um eine abgegriffene Semi-Metapher handelt (Quint-Schule!). Keine Verlegenheitsmetapher ist Beccarisis Bezeichnung „Minenfeld“ für die eherne Form, das Determinierende, der Sentenzen. Die Inquisition „gießt“ demnach Inhalte in „Formen“, um das Christentum vor einer wie oben zitierten Irrlehre und damit vor der Verdammnis zu schützen.
Wenn, wie dies in Bezug auf Eckharts Todsündenauffassung klar der Fall ist, auch die Lehre von der Hölle und viele andere Lehren in dieser Verkürzung falsch wiedergegeben wären? Um hier Klarheit zu gewinnen, muss, 150 Jahre vor der Errichtung des „Minenfeldes“, das tiefer liegende spekulative „Quellgebiet“ für die Sentenzen umrissen werden. Damit landet man in der Diskussion der „Häresien“ um 1300.

Mika Matsuda, Universität Tokyo:
Gehorsâme. Die Erfurter Reden Meister Eckharts in der Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin

Die Erfurter Reden beginnen mit einem Blick auf den wahren Gehorsam. Auf die Bedeutung dieses Anfanges wurde oft hingewiesen (u.a. Niklas Largier, Otto Langer). Die Referentin unterzieht diese Lehre eines gründlichen Vergleichs mit der Lehre des Thomas von Aquin. Bei Thomas handelt es sich um Texte über den Gehorsam als Tugend (Sth 2-2- q 103-104), über den Gehorsam als Ordensgelübde (q 186), als Konformität mit dem Willen Gottes (1-2 q 19 a 10) und schließlich als Gehorsam im Kontext des Liebens (1-2 q 28 a 3). Hier ist zunächst eine größere Kontinuität zu beobachten, als im Allgemeinen angenommen wird. Eckhart folgt dem älteren Ordensbruder darin, dass der Gehorsam das wichtigste und umfassendste Gelübde sei, das in der Aufgabe des Eigenwillens bestehe. Dies geht bei Thomas in Bezug auf die Freundschaftsliebe im göttlichen Bereich bis zur Ekstase, bei Eckhart als uzgan zum Ausdruck gebracht. Das thomanische conformari voluntati divinae wiederholt Eckhart als in den willen gotes gebildet und geformieret.
Eckharts Eigenart betrifft diese Konformität. Nach Thomas ist sie auch möglich, indem der Mensch sein bonum proprium will, wenn Gott will, dass er es will (Deus vult eum velle). Eckhart aber verlangt, dass man nicht um ein eigenes Gut beten solle, nicht einmal um das ewige Leben. Gott muss allein und radikal für den Menschen wollen. Daraus wird deutlich, dass Eckhart sich nicht nur mit volkstümlichen Gedanken über den gehorsam, sondern auch theologisch-ethisch mit Thomas auseinandersetzt.

Dr. Martina Roesner, Theologische Fakultät, Humboldt Universität, Berlin:
Das Motiv der transzendentalen Topologie in den Reden der Unterweisung vor dem Hintergrund von Meister Eckharts lateinischen Schriften

Mehrfach wurde bemerkt, dass Eckharts „Reden“ die für das Ordensleben konstitutive Trennung von Kloster und Welt unterlaufen. Man findet fast Elemente der Kritik des sakralen Raumes. Dagegen stellt Eckhart eine Konzeption, die das „innen“ und „Außen“ im Sinne einer gottnahen bzw. gottfernen intentionalen Grundausrichtung des Menschen in allen seinen Tätigkeiten bestimmt. Es geht also um eine homogene ethisch-religiöse Transparenz aller Lebensbereiche auf Gott hin, um eine Korrektur des Vertrauens auf Besonderheiten. Eckhart geht aber noch darüber hinaus: Gott ist die gleichsam naturgesetzliche, ubiquitäre Verortung der gelassenen und abgeschiedenen Seele. Die Referentin nannte dies die „Ko-location“ Gottes.
Die Gottes-Topologie setzt die Kategorie des „Wo“, die von allem hoc et hoc befreit ist, in transzendentaler Übersteigerung mit Gott selbst gleich, ausführlich und ausdrücklich im Johannes-Kommentar Eckharts. Ein „Wo“ als Ursprung kann eigentlich nur von Gott ausgesagt werden, von dort hat es Leitbedeutung für alle kreatürliche Ableitung. Eckhart nimmt dieses „Wo“ zugleich als (natur-)wissenschaftlichen Ausgangspunkt. Dies lässt sich aber dann auch umdrehen, weil naturwissenschaftliche Beobachtungen dann mit dieser Ortbestimmung als konvertibel gelesen werden dürfen. Diese Konvertibilität entspricht den im Johannes-Kommentar niedergelegten methodischen Grundsätzen, die ursprüngliche Offenbarkeit zur Auslegung mit wissenschaftlichen Argumenten zu nützen.

Professor Dr. Udo Kern, Universität Rostock:
Die neigunge ze den sünden dem menschen vrument ze allen zîten (RdU DW V, 212,9f.) – Zur Ambivalenz des Eckhartschen Sündenverständnisses

Eckharts Sündenverständnis basiert auf folgenden Annahmen:

  1. These: Göttliches Leben steht gegen sündiges Leben (vgl. DW V,232,7). Die Sünde ist Abkehr vom reinen Sein und eine Grundorientierung auf nichtiges Nichts (vgl. in Gen. I n. 86, LQ I, 244,9-11)
  2. Antithese: Die Sünde ist nutzbringend; grôzem vrumen dient sie (vgl. DW V, 231,8-10). Die Sünde generiert (Je schwerer, umso mehr) das Lob Gottes. (Vgl. In Joh. n. 494, LW III, 426,4-9)
  3. Synthesis („aufgehoben“ im Hegelschen Sinne): Alle Schläge der Sünde dienen dem gegenwärtig zu erkennenden Heil des Menschen (DW V, 234,5-11, LW III, 425,6-11). Sie sind kraftvoller Fokus großer Erkenntnis der göttlichen Liebe (DW V, 233,4-7). Sünde als Antriebskraft zu Umkehr und Tugend (vgl. DW V, 214,8-215,4).
  4. Die Grundstruktur ist in den Reden bereits vorhanden und durchzieht, wie das Referat an Beispielen aufweist, das weitere Schaffen Eckharts (lateinisch und deutsch).

Professor Dr. Markus Enders, Universität Freiburg i.Br.:
Grundmotive der Mystagogie und Elemente der Gotteslehre Meister Eckharts in den Reden

Von den zahlreichen Grundmotiven der Mystagogie und Elementen der späteren Gotteslehre Meister Eckharts, die in den Reden bereits präsent sind und daher auf ein hohes Maß an Kontinuität in der Lehrentwicklung Eckharts schließen lassen, wurden die folgenden in einem Überblick betrachtet:

  • Das mystische Verständnis des commercium admirabile (in dem Maße, in dem der Mensch sich der Betätigung seines eigenen Willens enthält und Gottes Willen sucht und geschehen lässt, in genau diesem Maße teilt sich Gott selbst dem Menschen mit) und die Lehre von Gott als dem Wirksubjekt der Bewegungen aller Seelenkräfte des mit ihm mystisch vereinten Menschen;
  • Das mystagogische Gehorsams- und Gebetsverständnis;
  • Die mystagogische Lehre wahrer Gelassenheit und wohlgeübter (innerer, und zwar vorausgehender und nachfolgender, d.h. gleichbleibender) Abgeschiedenheit;
  • die „Ontologisierung“ und Verinnerlichung der Ethik (z.B. Heiligkeit als Primärqualität des menschlichen Seins und als Sekundärqualität menschlicher Handlungen);
  • Eckharts mystagogische Willenslehre: Die Nobilitierung des Willens als des für die Sittlichkeit und das Glück bzw. Unglück des Menschen maßgeblichen Seelenvermögens im Menschen; die propria voluntas als die mala voluntas und der mit der voluntas dei vereinte menschliche Wille als die bona et perfecta voluntas, die Allmacht des guten Willens;
  • die Lehre von der Liebe und dem Vertrauen;
  • die mystagogische Armutslehre;
  • die Lehre von der Gottähnlichkeit und Gottbezogenheit der Vernunft als des Orts der unmittelbaren Gotteserfahrung des Menschen;
  • das mystagogische Verständnis der Gleichheit;
  • die Gottunmittelbarkeit des mystisch begnadeten Menschen in allen seinen Zuständen und Tätigkeiten (Gott in allen Dingen zu finden und zu haben);
  • Güte, Liebe (als Selbsthingabe bzw. Selbstmitteilungsbereitschaft), Gegenwart, Nähe, Treue und Barmherzigkeit als Grundeigenschaften Gottes;
  • die Individualität der menschlichen Personen und ihrer Heilswege (zu dem gemeinsamen Ziel);
  • die Lehre von der Nichtigkeit der Kreaturen;
  • die Vorbildlichkeit und Mittlerschaft Christi für den und auf dem mystischen Weg.

Dr. Saeed Zarrabi Zadeh, Iran, Universität Erfurt:
Eckhart’s Mysticism of Intellectual Detachment

Practical mysticism could be defined as a dichotomous dimension of mysticism dealing with 1 - the stages of the path of mystical perfection, and 2 - the practices ought to be performed during these stages. On the other hand, taking into account the modern emphasis on the social characteristic of the term “ethics” and the important role which the relationship between human being and other people – not his relationship to himself – plays in its definition, mystical ethics had better be defined as a kind of ethics based on mystical experience.
Although several valuable works have been written on the mystical ethics of Meister Eckhart, his practical mysticism has not been the subject of due study, especially in its whole two parts. Contrary to the well-accepted claim that Eckhart does not offer any practical mysticism – whether as an itinerary or as recommended mystical practices – this writing aims to analyze Eckhart’s German works particularly his rede der underscheidunge in order to systematize his practical mysticism into a two-stage itinerary of mystical path as well as a set of practices should be done in each of these stages.
Examining two steps of detachment, its relationship as the central virtue to other virtues, and the role of various human’s faculties in mystical perfection, as well as trying to find a few mystical techniques in Eckhart’s teachings, this article argues why the rubric of “mysticism of intellectual detachment” can provide a helpful description for understanding the special character of his practical mysticism. In addition, this study scrutinizes the relationship of Eckhart’s practical mysticism with his mystical ethics, the fruit of mystical perfection, and classifies them into two categories of ethics of being and consequentialism respectively. Discussing the social element of Eckhart’s ethics, it tries at the end to answer to this question: Is it possible for a non-mystic to act according to Eckhart’s mystical ethics?

Dr. Christian Fröhling, Universität Frankfurt, St. Georgen:
„[W]er aber Gott recht in Wahrheit hat, der hat ihn an allen Stätten“ –Die Konstruktion des Ortes in den rede der underscheidunge

Der Beitrag erhellt den Zusammenhang von Bildlehre, Erkenntnislehre und Topologie (besonders in c. 6 und c. 21) in den Reden, deren Kontext in einem Lehrgespräch für Konvents- und Laienbrüder zu sehen ist. Eckhart schreibt zu Beginn des sechsten Kapitels der Reden: „[W]er aber Gott recht in Wahrheit hat, der hat ihn an allen Stätten […]; wenn anders er ihn recht und nur ihn hat, so kann einen solchen Menschen niemand behindern.“ Die Reden durchzieht eine (terminologisch variierende) Unterscheidung von zwei Weisen: Eine ungeübte Weise, in der ein Hindernis / eine Behinderung auftritt und eine geübte Weise der Ungebundenheit (c. 6, 21). Die zweite Weise ist diejenige, in der der Mensch nach Eckhart „Gott hat“. Das zu konturierende Zueinander der zwei Weisen entwickelt Eckhart in den Reden mithilfe seiner Erkenntnis- und Bildlehre (c. 6, 21 aber auch c. 10, 16; 18). So führt Eckhart das Beispiel des Schreiben-Lernens (prägen; Form) an, um die zwei Weisen zu verdeutlichen. Schon hier steht die Überwindung eines Inhärenzverhältnisses im Blickpunkt.
Eine besondere Aufmerksamkeit verdient die eckhartsche Konstruktion und Verwendung von Orten („Stätte“). Eckhart konstruiert drei Orte (Außen; Innen; Gott als Ort und Nicht-Ort; cf. c. 21), deren Zueinander erhellt werden soll (äußerer und innerer Mensch). In den Reden ist die kontextuelle Präferenz des inneren Ortes klar sichtbar. Vor dem Hintergrund seiner topologischen Erkenntnis- und Bildlehre wird diese durch das grundlegendere Ziel – die Einheit von Innen und Außen (cf. c. 23) – ergänzt, vielleicht auch korrigiert.
Die Unterscheidung der zwei Weisen verbunden mit der topologischen Erkenntnis- und Bildlehre findet sich in späteren Schriften des Meisters (Opus Tripartitum und Pr. 64; 72) kontextuell entsprechend entwickelt.

Professor Dr. Dietmar Mieth, Universität Tübingen, Max Weber Kolleg Erfurt:
„Die Meister sagen – die Leute fragen“ – Der doppelte Anspruch an Eckhart den Prediger

Eckharts Reden und Predigten sind nicht bloß Anwendungen eines begrifflichen Konzepts auf eine Situation andersartiger Verständigung. Sie übersetzen nicht nur Spekulatives in Volksnähe, sondern sie entstehen aus dieser Nähe zu den spirituellen Fragen heraus. Der spirituelle Eckhart und der gedankliche Eckhart sind freilich nicht voneinander zu trennen.
Die Stadt ist der Ort einer Herausforderung durch Hörende und des Rates Bedürftige. Was sagt Eckhart über die Stadt? Er betrachtet sie als civitas oder Gemeinschaft von Bürgern. Es gibt es beiden Predigten über das castellum Bethanien (Pr. 2 und Pr. 86) und darin das Gleichnis von der inneren Stadt als der inneren Stätte, das sog. bürglin. Darauf kommt er auch in der Predigt 81 zu sprechen, wenn von der civitas dei die Rede ist. Häufig findet sich ja die Formel vom „Reich Gottes in Euch“. Äußere und innere Stadt verhalten sich in Eckharts katechetischen und homiletischen Äußerungen wie Frage und Antwort. Das Äußere ist aber offensichtlich nicht ungeeignet, über sich hinaus auf das Innere zu verweisen.
In den Reden der Unterweisung ergibt eine grobe Zählung, dass Eckhart sich etwa 30 Mal direkt an seine Zuhörer (Zuhörerinnen?) richtet. Er nennt sie menschen oder liute. Quint übersetzt menschen stets mit „die Leute“, was den allgemeineren Anspruch der Ansprache etwas reduziert. Was machen nun diese so Angesprochenen für die „Reden“? Sie fragen nach. Diese Fragen sind direkt an den Prior gerichtet (ich wart gevrâget, Ausgabe Largier, zit. NL, hier NL 344,18 und dann öfter ab Nl 408,22: ein vrâge, vgl. 412,10; dô wart gevrâget NL 416,13; nu vrâge – ein vrâge, NL 420, 5.19). Es können Fragen sein, die er sich notiert hat, es kann das Protokoll der in den Gesprächen gestellten Fragen sein. Die Fragen werden oft als in der Vergangenheit gestellt aufgegriffen, sind aber auch als Einwürfe, vor allem im Mittelteil der RdU, gegenwärtig, wo es häufig heißt: nu möchtest du sprechen (vgl. NL 382,23- 404,31). Man kann die Unterschiedlichkeit der direkten Ansprachen des Zuhörerkreises auch als Indiz dafür nehmen, dass die Teile, in denen Eckhart kontinuierlich die gleiche Ansprechweise benutzt, jeweils enger zusammengehören. Spricht Eckhart im ersten Drittel der RdU diu liute an, so im zweiten Drittel die Einwendenden („nun möchtest du sprechen“) und im dritten Drittel die Nachfragenden (dô wart gevrâget). Den Menschen, die er dabei anspricht, hat er vorher zugehört. Wir wissen aus Nikolaus von Bibra, dass diese Menschen, insbesondere die Beginen von einem jubilus sprachen, wenn sie über die Versetzung in einen anderen Zustand mit intensivem Erleben sprachen, und auch solche Bezeichnungen greift Eckhart auf. Eckharts intensive Beschäftigung mit den religiösen Meinungen und Fragen, die ihn aus Kloster und Stadt erreichen muss m.E. dem Priorat vorausliegen. Geht man von den RdU weiter zu den Predigten, so ist im Unterschied zu den RdU zusätzlich von den „Meistern“ die Rede. Spricht der Meister seit 1303 als Meister zu den Meistern? Sozusagen insbesondere auf Augenhöhe, d.h. mit Abfärbung auf ihn selbst? Auffällig ist zudem, dass Eckhart sich in Predigten nicht nur auf einen Meister-Dialog beschränken kann, ja dass es geradezu monologisch wirkende Predigten gibt, in den er eine Gewissheit ausstrahlt, die er zwar weitergeben will, von der aber auch für sich selbst Zeugnis ablegt.

Diskussion und Ertrag:
Die Diskussion, die nach den Referaten, - mit Ausnahme nach den Referaten Löser und Mieth - , geführt wurden, beschränkten sich im Wesentlichen auf Verständnisfragen. Bei der Charakteristik der Tagung die einerseits den Forschungsstand perspektivisch sichern wollte und andererseits an der Vermittlung von Forschungsergebnissen an ein breiteres akademisches Publikum interessiert war, z.T. aus der Meister Eckhart Gesellschaft, z.T. aus Erfurt, stand die kontroverse Diskussion nicht im Vordergrund. Es ging eher um die Sammlung von Forschungsbilanzen, die miteinander kooperieren. Man kann freilich zusammenfassend sagen, dass die spezifische Betrachtungsweise der Reden in ihrem stadtbürgerlichen Bezug, die nicht in allen Referaten in gleich intensiver Weise präsent war, eine Einlösung eines in der Forschung häufiger formulierten Desiderates darstellt. Insbesondere erwies sich die Aufteilung in die eingangs genannten vier Aspekte, für die Frau Professor Dr. Dagmar Gottschall verantwortlich war, als hilfreich, um die Perspektiven auseinanderzuhalten und zugleich aufeinander zuzuführen.